Derry, Nordirland, UK – Bei grauem und nassem Wetter traf sich heute morgen Seine Heiligkeit der Dalai Lama, begleitet vom Gastgeber Richard Moore, mit Vertretern von der Presse. Nach einer kurzen Einführung erläuterte Seine Heiligkeit seine Sicht auf die Rolle der Presse und seine eigenen Positionen zu verschiedenen Themen.
“In einer modernen Gesellschaft spielt die Presse für die Bildung und Information der Menschen eine wichtige Rolle. Wenn ich chinesische Freunde treffe, dann sag ich ihnen oft, dass 1.3 Mia. Chinesen ein Recht darauf haben, zu wissen was in der Welt geschieht, und wenn sie dies wissen, dann sind sie auch in der Lage zu entscheiden, was richtig und was falsch ist. Deshalb ist Zensur, mit der sie konfrontiert sind, moralisch falsch.“
„Ich habe drei Verpflichtungen, die mein Leben prägen. Ich bin zwar nur ein einzelner Mensch, aber ich bin davon überzeugt, dass jeder einzelne die Pflicht hat zu einer glücklicheren Menschheit beizutragen. Ich habe mich dazu verpflichtet, die menschlichen Werte zu fördern. Als buddhistischer Mönch setze ich mich für die interreligiöse Harmonie ein. Und als Tibeter bin ich um die Bewahrung der tibetisch-buddhistischen Kultur und um die natürliche Umwelt sowie Ökologie Tibets besorgt.
Auf eine Frage von der Presse, was Seine Heiligkeit sich wünscht und was ihn traurig mache, antwortete er, dass er eine friedvollere Welt, weniger Konflikte und eine schwindende Bedeutung von Waffen im menschlichen Leben sehen möchte. Frieden könne nur durch Dialog geschaffen werden. Traurig mache ihn zurzeit die Situation in Jemen und die aktuelle Lage der Rohingyas in Burma, weil beide Tragödien menschengemacht sind und einer menschlichen Lösung bedürfen.
In Bezug auf den Friedensprozess in Nordirland erklärte er, dass jedes Land seiner Bevölkerung gehöre, und deshalb ist auch der Friedensprozess von der eigenen Bevölkerung abhängig.
Er beschrieb Richard Moore als ein Vorbild für uns alle. „Während ich nur rede, setzt er Mitgefühl in Taten um. Und das rührt daher, dass er eine erfahrene Tragödie in etwas Gutem für andere Kinder umsetzte.“
Auf die Frage was er zur aktuellen Krise um Nordkorea raten würde, antwortete Seine Heiligkeit, dass es womöglich schwierig sei Ratschläge zu erteilen, weil er sich nicht sicher sei, ob die Protagonisten in diesem Konflikt einen gesunden Menschenverstand an den Tag legen würden. Trotzdem erklärte er, dass Putins Aussage zur Notwendigkeit von Gesprächen richtig sei. Die Demonstration von noch mehr Gewalt und militärischer Stärke würde nicht nur das Problem erschweren, sondern womöglich auch enormes Leid in Südkorea und Japan mit sich bringen.
„Der Einsatz von Nuklearwaffen ist unvorstellbar. Wir müssen ernsthaft uns für eine nuklearfreie Welt einsetzen. Langfristig sollte eine entmilitarisierte Welt unser Ziel sein. Ich werde das wohl nicht mehr in meinem Leben erleben, aber wir müssen uns dafür stark machen.“
Nach der Pressebegegnung verabschiedete er sich persönlich von den Journalisten und begab sich auf den Weg in das Millennium Forum, wo die Konferenz „Die Erziehung des Herzens“, die von Children in Crossfire organisiert wurde, begann. Richard Moore berichtete zu Beginn über ihre 10-jährige Aktivitäten in Tansania und Äthiopien, die zum stärkeren Bewusstsein für Vorschulbildung und bessere Ausbildung der Lehrkräfte führten.
Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagte: „Wenn wir die Welt heute betrachten und wissen, dass die grundlegende menschliche Natur mitfühlend ist, dann sehen wir dennoch viel Leid, das wir selbst verursacht haben. Wieso ist das so? Ich denke, dass unser Bildungssystem nicht genügend den menschlichen Werten Achtung schenkt. Wenn wir durch Anhaftung und Wut beeinträchtigt sind, dann sind wir nicht in der Lage unsere Intelligenz angemessen anzuwenden. Deshalb müssen wir die Funktion unseres Geistes und unserer Emotionen besser verstehen.
Bisher hat Asien vom Westen viel über Wissenschaft und Technologie gelernt, aber jetzt besteht auch die Möglichkeit, dass der Westen mehr über die Funktion des Geistes von Asien lernt. Es ist klar, dass technologische Entwicklungen alleine nicht geistigen Frieden schaffen können. Deshalb muss die moderne Bildung ergänzt und vervollständigt werden.
Seine Heiligkeit der Dalai Lama hat das Publikum aufgerufen ihm Fragen zu stellen. Die erste Frage schlug vor, dass, so wie Mathematik ein Pflichtfach in der Schule ist, so müsste auch ‚die Erziehung des Herzens’ ein Pflichtfach sein. Seine Heiligkeit begrüsste den neuen Lehrplan für 3 – 5 Jahre alte Kinder und betonte die Notwendigkeit für mehr Koordination solcher Initiativen.
Auf eine Frage zur Übung von Mitgefühl antwortete Seine Heiligkeit, dass menschliche Einsicht und Wissen entscheidend sind. Er schlug vor, dass die Ausbildung von Lehrkräften auf wissenschaftlichen Ergebnissen, menschlichen Verstand und gemeinsamen Erfahrungen basieren soll.
In Bezug auf die Gleichberechtigung der Geschlechter erklärte Seine Heiligkeit seine Sicht auf die menschliche Entwicklung und die historische Entstehung für die damalige Notwendigkeit der Führung durch physische Stärke. Dies führte zur männlichen Dominanz. Die Verbreitung von Bildung und Wissen hat den Sinn für Gleichberechtigung mit sich gebracht, weshalb es jetzt wichtig sei, dass Frauen, die für das Leid von anderen stärkeres Einfühlvermögen haben, vermehrt Führungspositionen in der Gesellschaft übernehmen müssten. Er behauptete, dass die Welt friedvoller wäre, würden in den 200 Ländern der Welt Frauen an der Macht sein.
Am Ende bemerkte Seine Heiligkeit, dass viele unserer Probleme dadurch entstehen, dass wir uns mit zweitrangigen Unterschieden beschäftigen. Stattdessen sollen wir uns vermehrt auf die Einheit der Menschheit konzentrieren.
Die Morgenveranstaltung wurde mit der Überreichung eines Geschenkes an Seine Heiligkeit von Mary Kabati aus Tansania beendet. Wie üblich verabschiedete sich Seine Heiligkeit dankend von den Teilnehmenden, wechselte ein paar Worte mit einigen von ihnen und verliess die Bühne.
Nach dem Mittagessen traf sich Seine Heiligkeit mit der lokalen tibetischen Gemeinschaft und Unterstützern von Tibet. Dabei blickte er auf die vergangenen 58 Jahre im Exil zurück und hob auch die Verdienste der Nalanda-Gelehrten für die tibetische Kultur hervor. Er ermutigte die Tibeterinnen und Tibeter stolz auf ihre Wurzeln zu sein und anderen Menschen von Tibet zu erzählen. Er versicherte ihnen, dass er nach der jährlichen medizinischen Untersuchung in gesunder Verfassung sei. Er gab jedoch zu, dass die Knie ihm Schwierigkeiten, wie beim fünften Dalai Lama, bereiten würden.
Als sich die Tibeterinnen und Tibeter sowie Freunde um Seine Heiligkeit für ein Gruppenfoto versammelten, ermutigte er nochmals sie sich weiter zu bilden und die tibetische Sprache am Leben zu halten.
Danach kehrte Seine Heiligkeit bei Sonnenschein zurück zum Hotel. Morgen reist er weiter von Derry nach Frankfurt, Deutschland.