Mumbai (Bombay), Maharashtra, Indien. Auf seinem Weg zu einem Seminar über ‘Weltfrieden und Harmonie der Religionen durch interreligiösen Dialog’ im Stadion des National Sports Club of India durchquerte Seine Heiligkeit der Dalai Lama heute die indische Metropole. Der Weg führte ihn auch über den Bandra-Worli Sealink, eine spektakuläre 5,6 km lange Brücke über die Bucht von Mahim, die West- und Ostteil der Stadt miteinander verbindet. Bei seiner Ankunft wurde er mit donnergleichem Getöse von Hörnern und Trommeln in Empfang genommen und von seinem Gastgeber Acharya Dr. Lokesh Muni, einem indischen Schriftsteller und Aktivisten, der sich seit vielen Jahren für Frieden und Gewaltlosigkeit einsetzt, begrüßt.
Als die Teilnehmer des interreligiösen Dialogs, allen voran Acharya Dr. Lokesh Muni, Seine Heiligkeit und Swami Ramdev, auf die Bühne traten, wurden sie mit tosendem Applaus empfangen. Zur Eröffnung der Veranstaltung entzündeten sie gemeinsam eine Lampe. Zur Begrüßung erhielten alle Gäste einen traditionellen Schal und ein Geschenk zum Andenken an die Veranstaltung.
Die Eröffnungsrede hielt der indische Energieminister Piyush Goyal, der im Anschluss noch zur Eröffnung des National Cancer Institute (Nationales Krebsforschungszentrum) in Nagpur fuhr. Er begrüßte Seine Heiligkeit als „weltbekanntes spirituelles Oberhaupt, das wir alle verehren“. Es sei eine große Ehre, dass Dr. Lokesh Muni die Veranstaltung leite. Dank seines großen Einsatzes seien nun Teilnehmer aus ganz Indien zu der Veranstaltung gekommen.
Klimawandel und Terrorismus, so Goyal, seien derzeit die größten globalen Herausforderungen. Indien ergreife diverse Maßnahmen, um die Luftverschmutzung zu bekämpfen. Ein weiteres Problem, das man bekämpfen müsse, sei die Intoleranz, die der Gesellschaft insgesamt schade. Er beendete seine Rede, indem er betonte, dass es für Indien gelte die fünf folgenden Ziele zu erreichen: Macht, Wohlstand, Prestige, Wohlergehen und eine gute Positionierung. Ebenfalls anwesend war der Friedensbotschafter Vivek Oberoi. Er begleitete den Minister anschließend zu seinem Termin beim Krebsforschungszentrum.
Der Islamgelehrte Dr. Kalbe Sadiq sprach im Anschluss über den Fall der Babri-Moschee, um die es schon seit der Kolonialzeit Streit zwischen Hindus und Moslems gibt. In einer laufenden Verhandlung am Obersten indischen Gericht soll darüber entschieden werden, wem die Moschee zugesprochen werden soll. Wenn die Entscheidung zugunsten der hinduistischen Gemeinschaft ausfiele, dann solle die muslimische Gemeinschaft diese akzeptieren, so Kalbe Sadiq. Sollten die Moslems gewinnen, so sollten diese der Hindu-Gemeinschaft ein Stück Land anbieten, da auch Geschenke ein Mittel seien, einen Streit beizulegen.
Giani Gurbachan Singh, der Vorsteher der Sikh-Gemeinde des Akal Takht (Teil eines großen Tempelkomplexes der Sikhs im nordindischen Amritsar) hob hervor, dass es zwar zwischen den Religionen oft Streitigkeiten gebe, aber im Grunde Einigkeit herrsche, da sie eine gemeinsame Botschaft hätten.
Felix Anthony Machado, Erzbischof der römisch-katholischen Diözese Vasai in Westindien, betonte wie wichtig der Frieden in den Herzen der Menschen für den Weltfrieden sei. Grundlegende Werte, mit denen man Frieden schaffen könne, seien Einigkeit und Aufrichtigkeit. Danach begrüßte Indiens Agrarminister Shri Radha Mohan Singh die spirituellen Oberhäupter. Auch Dr. Harsh Vardhan, der amtierende indische Minister für Wissenschaft und Technik, Umwelt, Forstwirtschaft, Klimawandel und Geowissenschaften, begrüßte die Vertreter der Religionen und versicherte den 4000 Zuhörern im Stadion, die indische Regierung tue alles, um Indien nach vorne zu bringen, benötige dafür aber auch die Unterstützung und das Engagement der Bevölkerung.
Acharya Dr. Lokesh Muni würdigte Swami Ramdev für seine engagierte Öffentlichkeitsarbeit zur Verbreitung des Yoga. Die Aufnahme von Themen wie Frieden und Gewaltlosigkeit in die Lehrpläne von Schulen, wie von Seiner Heiligkeit empfohlen, begrüßte er. Außerdem wiederholte er, wie wichtig es sei, die Botschaft des Dalai Lama umzusetzen, in der dieser davon abrät, in Konfliktgebiete mit Gewalt einzugreifen.
Swami Ramdev eröffnete seine Rede mit dem traditionellen “Bharat Mata ki Jai” (“Heil dir, Mutter Indien!”). In seiner langen Ansprache sagte er unter anderem, China solle erkennen, dass alle großen Religionen sich für Frieden und Gewaltlosigkeit einsetzten. Indien sei ein religiöses Land und daher bereit für den Dialog. Wenn Indiens Widersacherin allerdings Krieg wolle, sei das Land auch darauf vorbereitet. Jainacharya Namra Muni, ein in Indien hoch verehrter Jain-Mönch, drängte darauf, dass Seine Heiligkeit auf die Bühne kommen solle, da die Mittagspause kurz bevorstand.
Seine Heiligkeit wurde zum Rednerpult geleitet. Er begann seine Rede wie es für ihn typisch ist: “Verehrte spirituelle Brüder und… oh, keine Schwestern?”
“Ich bin sehr glücklich, dass ich an dieser wunderbaren Konferenz teilnehmen kann. Es sind spirituelle Führungspersönlichkeiten anwesend, die nicht nur ihre eigene religiöse Praxis ernsthaft und aufrichtig betreiben, sondern auch dazu beitragen, dass Probleme ohne den Einsatz von Gewalt gelöst werden können. Ich sage den Menschen immer, dass ich mich als nichts Besonderes, sondern als einen der ca. sieben Milliarden Menschen, die es heute gibt, betrachte. Auf mentaler, emotionaler und physischer Ebene sind wir alle gleich. Einige meiner Freunde hier tragen ihr Haar sehr lang. Ich habe eine andere Frisur. Aber im Grunde sind wir alle gleich.”
“Jeder dieser sieben Milliarden Menschen wünscht sich Glück und Freude. Statt dessen stehen wir vor einer Vielzahl von Problemen, von denen viele menschengemacht sind. Hier gibt es also einen Widerspruch: Niemand sehnt sich nach Problemen, und dennoch schaffen wir uns eines nach dem anderen. Wie kommt es dazu? Die Ursache sind unsere Emotionen, insbesondere unsere destruktiven Emotionen.”
“Wut und Eifersucht sind charakteristisch für unsere Selbstzentriertheit und unseren mangelnden Respekt gegenüber unseren Mitmenschen. Selbstzentriertheit löst oft Angst aus. Diese wiederum führt zu Ärger, der, wenn er in Hass umschlägt, Gewalt auslösen kann. Es ist an der Zeit, dass wir erkennen, dass Weltfrieden nur durch Frieden in jedem Einzelnen entstehen kann.”
“In diesem Land ist das Prinzip der Gewaltlosigkeit seit mehreren tausend Jahren eine gültige Handlungsmaxime, die auf der Motivation durch Karuna oder Mitgefühl basiert. Wenn wir eine egoistische Einstellung haben, ein künstliches Lächeln aufsetzen und andere mit schmeichelnden Worten täuschen wollen, ist das ein gewaltsamer Akt. Wenn nun aber Eltern oder Lehrer, wie zum Beispiel mein Tutor, aus Sorge um das Wohlergehen eines Kindes strenge Worte wählen, dann ist das keine Gewalt.”
“Ob eine Handlung als gewaltsam bezeichnet werden kann oder nicht, hängt also nicht nur von der Handlung selbst, sondern von der ihr zugrunde liegenden Motivation ab. Deshalb müssen wir mehr Wert auf Karuna bzw. Mitgefühl legen – Qualitäten, die der modernen Wissenschaft zufolge unserem natürlichen Wesen entsprechen. Ständige Angst, Wut und Argwohn hingegen beeinträchtigen unser Immunsystem, während das Mitgefühl sich gesundheitsfördernd auswirkt.”
Seine Heiligkeit sprach auch darüber, dass alle Menschen die gleiche Erfahrung teilen, von ihren Müttern geboren und genährt zu werden. Einige Wissenschaftler hätten herausgefunden, dass der Körperkontakt zur Mutter entscheidend dazu beiträgt, dass sich das menschliche Gehirn richtig entwickeln kann. Während wir aufwachsen, wünschen wir uns alle Liebe und Zuwendung. Wir merken, dass Eifersucht uns nicht glücklich macht, während der ehrliche, aufrichtige und offenherzige Umgang mit anderen uns zufrieden stimmt.
Er fuhr fort, dass wir aufgrund unseres gesunden Menschenverstands wüssten, dass die Familie von nebenan vielleicht reich sei, dass sie aber, wenn die einzelnen Familienmitglieder kein Vertrauen zueinander hätten, nicht glücklich sein könne. Eine Straße weiter gebe es vielleicht eine ziemlich arme Familie, aber dort herrsche gegenseitiges Vertrauen und ein liebevoller Umgang, so dass alle sehr glücklich seien. Seine Heiligkeit sprach auch über das Bildungssystem, das anstelle von inneren Werten eher von materiellen Inhalten geprägt sei und deshalb dazu beitrüge, dass die Menschen unglücklich seien.
“Wenn in den Schulen mehr Wert auf das alte indische Wissen über unsere Gedanken- und Gefühlswelt gelegt würde, würden wir lernen, wie wir einen friedvollen Geist bekommen können. Zur Vermittlung eben dieser Werte haben wir mit Lehrern, Erziehungswissenschaftlern und anderen Experten Lehrpläne erarbeitet, die vom Kindergarten bis zur Universität eingesetzt werden können. Unsere Empfehlung ist, diese Werte auf einer säkularen Basis zu vermitteln, das heißt, dass eine unvoreingenommene Haltung und Respekt nicht nur gegenüber allen religiösen Traditionen sondern auch gegenüber Menschen ohne Glauben wichtig ist. Wenn es Indien gelingt, das alte indische Wissen in sein modernes Bildungssystem zu integrieren, kann es einen großen Beitrag zum Wohlergehen aller sieben Milliarden Menschen leisten.”
Seine Heiligkeit sagte, er fühle sich verpflichtet, mit gesundem Menschenverstand und durch Initiativen im Bildungssystem ein größeres Bewusstsein dafür zu schaffen, wie unsere Welt zu einem friedlicheren und glücklicheren Ort werden könne. Er erlebe seit 58 Jahren mit Bewunderung, wie gut in Indien die Koexistenz verschiedener Religionen, die ihre Wurzeln in Indien selbst hätten, mit anderen, die von außen gekommen seien, funktioniere. In dieser Hinsicht sei Indien ein Vorbild für die restliche Welt. Es sei eigentlich undenkbar, dass der Glaube eine Quelle von Konflikten sei. Leider gebe es heute aber mancherorts sogar innerhalb ein und derselben Religion schon Konflikte. Dies sei zum Beispiel zwischen Sunniten und Schiiten der Fall. So etwas gebe es in Indien nicht.
“Wann immer ich über die Harmonie der Religionen spreche, erzähle ich den Menschen, dass Indien ein lebendiges Beispiel dafür ist, dass verschiedene Religionen friedlich und mit gegenseitigem Respekt nebeneinander bestehen können.”
“Als Tibeter ist es mir auch wichtig, das Wissen, das von dem Meister Shantarakshita im achten Jahrhundert nach Tibet gebracht wurde, zu bewahren. In ihm spiegelt sich die Tradition der alten indischen Nalanda Universität (eine im 5. Jahrhundert in Indien gegründete buddhistische Universität) wider, die wir auch heute noch verfolgen, und die auch von immer mehr Buddhisten in China geschätzt wird. Indien ist unsere Lehrmeisterin, und wir haben uns als ihre treuen Chelas (spirituelle Schüler im Hinduismus) erwiesen, da wir die Traditionen von Philosophie, Logik und dem Verständnis der Funktionsweise des Geistes am Leben erhalten haben. Es ist nun meine Verpflichtung, den Versuch zu unternehmen, dieses alte Wissen in Indien wiederzubeleben. Ich glaube, Indien ist das einzige Land, in dem es funktionieren kann, alte Traditionen mit einem modernen Bildungssystem zu vereinen.”
Bevor sie auseinander gingen, gab es für Seine Heiligkeit und die anderen Teilnehmer des Kongresses ein gemeinsames Mittagessen, das in sehr freundschaftlicher Atmosphäre verlief.