Manali, Himachal Pradesh, Indien - Der Regen über Nacht ließ nach, als Seine Heiligkeit der Dalai Lama heute Morgen vom Ön Ngari Dratshang losging. Auf dem nahegelegenen Stadtparkplatz wurde eine Bühne und ein überdachter Platz für das Publikum der Unterweisungen eingerichtet. Der Abt von Ngari Dratshang begrüßte ihn und begleitete ihn mit anderen Vertretern der Gemeinde zur Bühne, von wo aus er die Teilnehmenden und andere Lamas begrüßte, die die verschiedenen tibetisch-buddhistischen Traditionen vertraten. Unter ihnen war auch der junge Dungsey Asanga Rinpoché von der Sakya Phuntsok Phodrang.
„Heute sind wir hier in Manali auf Einladung des Klosters Ön Ngari“, begann Seine Heiligkeit. „Das Kloster wurde auf Wunsch des ehemaligen Abtes des Klosters Gomang in einem Gebäude wiedereingesetzt, das damals den drei Bildungsstätten gegeben worden war. Dies ist heute ein Kloster, in dem sich die Mönche nicht nur darauf beschränken, sich Texte zu merken. Sie studieren sie auch. Ngari Dratshang, Dakpo Shedrupling und Chö-khor Gyal wurden vom zweiten Dalai Lama gegründet.“
„Während der dreimonatigen Regenzeit-Retreats versammelten sich die Mönche alle in Chö-khor Gyal. Das war jedoch ein Kloster, das sich in erster Linie auf die Durchführung von Ritualen konzentrierte, so wie es früher das Namgyal-Kloster war, und die Mönche von Ngari Dratshang und Dakpo Shedrupling orientierten sich einer ernsthaften Studie. Ich war erfreut, den wiederhergestellten Dakpo Shedrupling bei Patlikuhl zu besuchen, und jetzt bin ich froh, hier zu sein.“
Seine Heiligkeit bemerkte, dass es im Kullu-Tal viele Buddhisten gibt, und erinnerte sie daran, dass der Buddhismus mehr ist als eine Frage des Glaubens - er nutzt die Vernunft. Er erklärte, dass er nie sagt, dass der Buddhismus die beste spirituelle Tradition ist, denn so wie die Medizin nach dem Zustand des Patienten verschrieben wird, hängt die Wirksamkeit einer religiösen Tradition von der Disposition einer Person ab.
„Heute sind wir hier versammelt, um einem Dharma-Vortrag zuzuhören. Es ist wichtig, dass sowohl der Lehrer als auch das Publikum eine angemessene Motivation erzeugen. Es sollte keinen Wunsch nach Ruhm oder gutem Ruf geben, weil man schon so oft an einer Lehre teilgenommen hat. Betrachtet dies als Teil eurer Dharma-Praxis, die auf der Zuflucht in den Drei Juwelen und der Entschlossenheit beruht, die Wünsche aller fühlenden Wesen zu erfüllen.“
Seine Heiligkeit führte das Publikum an, den Vers für die Zuflucht zu wiederholen und den erwachenden Geist des Bodhichitta zu erzeugen. Er erwähnte, dass, da Kullu einer der 24 heiligen Orte für Heruka oder Chakrasamvara ist, es viele Götter und andere Wesen in der Nähe gibt. Er rezitierte einen Vers, der auch sie aufforderte, darauf zu achten, was gelehrt werden sollte.
CCC Teilnehmende verfolgen die Unterweisungen von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama in Manali, HP, Indien am 13. August 2019. Foto: Tenzin Choejor
„In der buddhistischen Tradition sprechen wir von mutterempfindlichen Wesen, die sich über die Weite des Raumes erstrecken. Sie alle, als fühlende Wesen, sind gleich, wenn es darum geht, kein Leiden zu wollen und Glück zu suchen. Dazu gehören alle Wesen, die auf dieser Erde leben, und insbesondere die 7 Milliarden Menschen.“
„Menschen folgen der Religion, weil sie die Kraft des Denkens haben, während Tiere und andere Wesen in erster Linie vom sensorischen Bewusstsein abhängen. Es gibt Gläubige, Ungläubige und Agnostiker. Diejenigen, die wenig Interesse an der Religion haben, werden manchmal angesichts von Schwierigkeiten überfordert sein. Diejenigen, die einen gewissen Glauben haben, finden darin Trost.“
Seine Heiligkeit sprach im Weiteren über die Entstehung des Buddhismus in Indien und den Verdienst der Nalanda-Gelehrten. „Die Nalanda-Gelehrten nutzten Vernunft und Analyse, um die aufgezeichneten Lehren des Buddha in diejenigen einzuteilen, die endgültig waren und für Interpretationen offen standen. Dies liegt daran, dass der Buddha bestimmte Anweisungen in Übereinstimmung mit der Disposition der Jünger vor ihm gab. Mit anderen Worten, es gab einen Zweck für das, was er in bestimmten Fällen lehrte.“
"Die Lehren, die sich mit der ultimativen Wahrheit befassen, gelten als endgültig; die, die sich mit anderen Dingen befassen, gelten als interpretierbar. In der Nalanda-Tradition war ein solcher Einsatz kritischer Analyse wichtig."
Nach einer einstündigen Einführung in den tibetischen Buddhismus kündiget Seine Heiligkeit an, dass er für heute die Unterweisungen unterbrechen werde. Da Bücher mit den Texten, die er unterrichten soll, auf Tibetisch, Hindi, Englisch und Chinesisch an das Publikum verteilt wurden, ermutigte er seine Zuhörer, sie vor der morgigen Sitzung zu lesen. Er erklärte ihnen, dass er heute eine allgemeine Einführung in den Buddhismus gegeben habe, aber wenn es um die Praxis geht, ist es wichtig, ein Verständnis des erwachenden Geistes von Bodhichitta zu haben, unterstützt durch ein Verständnis von Leerheit - und das ist es, was diese Texte erklären.
Er sagte, dass eine selbstsüchtige, egoistische Haltung uns unglücklich und verängstigt macht. Wir laufen Gefahr, die ganze Welt als unseren Feind zu betrachten. Wenn du die Welt als deinen Freund sehen kannst, kannst du in Frieden leben. Er forderte seine Zuhörer auf, einen dreifachen Ansatz für das Wissen zu verfolgen: Studieren, reflektieren und meditieren. Das wird sie befähigen, die fünf Wege zu gehen, wie Avalokiteshvara beschreibt, wenn er im ‚Herzsutra‘ sagt: ‚Tadyata gaté gaté gaté paragaté paragaté parasamgaté bodhi svaha‘ (‚Es ist so: Schreite fort, schreite fort, schreite darüber fort, schreite weit darüber fort, sei in der Erleuchtung gegründet.‘)
Morgen wird Seine Heiligkeit die Unterweisungen fortsetzen.