Thekchen Chöling, Dharamsala, HP, Indien - Frau Natalia Inozemtseva, stellvertretende Direktorin der Stiftung Save Tibet in Russland, eröffnete den Dialog zwischen Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama und einer Gruppe russischer Neurowissenschaftler an diesem Morgen. Sie erinnerte daran, dass das erste Treffen dieser Reihe 2017 in Delhi zu dem Thema „Fundamentales Wissen“ stattgefunden hat. Ein weiteres Treffen wurde 2018 in Dharamsala organisiert. Infolgedessen starteten die russischen Wissenschaftler ein Projekt zur Erforschung von Thukdam, einem Phänomen, das auftreten kann, wenn ein hoch entwickelter Meditierender stirbt und sein subtiles Bewusstsein auch nach dem klinischen Tod im Körper verbleibt.
Prof. Svyatoslav Medvedev von der Russischen Akademie der Wissenschaften und Gründer des Instituts für das Menschliche Gehirn in St. Petersburg fasste zusammen, was sein Team bisher getan hat: Sie haben Forschungslabors in den tibetischen Siedlungen in Bylakuppe und Mundgod eingerichtet und 104 Mönche in der Meditation untersucht. Dabei konnten sie kürzlich einen Mönch beobachten, der 37 Tage lang im Kloster Gyutö im Zustand des Thukdam war. Sie luden einen forensischen Arzt ein, um den physischen Körper in den verschiedenen Stadien nach dem Tod zu untersuchen. So konnten sie zeigen, dass sich der Körper einer Person im Thukdam in einem ganz anderen Zustand befindet als der Körper von jemandem, der den gewöhnlichen Sterbeprozess durchläuft. Dies ist ihr erster wissenschaftlicher Beweis.
Prof. Medvedev lud Seine Heiligkeit ein, zu erörtern, welchen Wert das Studium von Thukdam für die Menschheit im Allgemeinen haben könnte. Seine Heiligkeit antwortete, dass gemäß den buddhistischen Schriften die Menschen im Laufe des Todes durch einen Auflösungsprozess gehen. Sobald einige hoch entwickelte Meditierende aufhören zu atmen, beinhaltet der Auflösungsprozess, den sie durchlaufen, drei Stadien, die drei Visionen entsprechen: die Weiße Erscheinung, die Rote Vermehrung und das Schwarze Nah-Erlangen. Im Verlauf dieser drei Stadien lösen sich die 80 verschiedene begrifflichen Wahrnehmungen auf: 33 während der Vision der Weißen Erscheinung, 40 während der Roten Vermehrung und schließlich sieben während des Schwarzen Nah-Erlangens. Anschließend verweilen sie länger als ein gewöhnlicher Mensch in dem Geist des Klaren Lichts. Dieser Zustand nennt sich Thukdam.
Seine Heiligkeit sagte: „Wir müssen noch mehr Forschung betreiben und mehr Fälle von Thukdam untersuchen, um festzustellen, ob die Visionen mit der Auflösung der gröberen Elemente verbunden sind. Da beobachtet wird, dass der Körper einer Person, die diesen Prozess durchläuft, warm bleiben kann, ist es möglich, dass die Auflösung der Elemente Erde, Wasser und Feuer nicht mit den drei Visionen zusammenfällt.
„Wenn ein gewöhnlicher Mensch stirbt, kommt es zu einer Auflösung der Elemente. Buddhisten glauben, dass die Lebewesen nach dem Tod wiedergeboren werden, also gibt es auch hier einen gewissen Zusammenhang. Mein eigener Senior Tutor Ling Rinpoche blieb 13 Tage lang im Thukdam. Kürzlich blieb ein Mönch im Gyutö-Kloster 37 Tage lang in diesem Zustand. Das ist eine beobachtbare Realität und wir müssen in der Lage sein, diese zu erklären.
„Es gibt Beweise für den Zustand des Thukdam, die man sehen und messen kann. Auch in den Texten des Guhyasamaja-Tantra finden wir eine ausführliche Erklärung über das innere subjektive Erleben des Sterbeprozesses. Ich hoffe, dass die Wissenschaftler all dies berücksichtigen und eine Erklärung finden können.”
Prof. Alexander Kaplan, Leiter des Labors für Neurophysiologie und Neuro-Computer-Schnittstellen an der Staatlichen Universität Moskau, fragte, welche buddhistischen Ideen westlichen Wissenschaftlern helfen könnten, die Funktionsweise des Gehirns zu verstehen. Seine Heiligkeit antwortete, dass die moderne Wissenschaft, wie sie sich im Westen entwickelt hat, in der Vergangenheit dazu tendiert hat, sich auf äußere Phänomene zu konzentrieren – Dinge, die man sehen und messen kann.
„Nach und nach haben die Menschen dann angefangen zu erkennen, dass ein friedvoller Geist eine wichtige Rolle in unserem täglichen Leben spielt. Daher haben auch die Wissenschaftler Interesse daran entwickelt, wie man einen friedvollen Geist entwickeln kann. Psychische Leiden wie Wut, Angst und Frustration beeinträchtigen unsere Gesundheit. Es geht also nicht um die Wiedergeburt oder die Erleuchtung, sondern darum, dass alle sieben Milliarden Menschen, die heute auf der Erde leben, jetzt und sofort einen friedvollen Geist entwickeln.
„Um geistigen Frieden zu erreichen und zu bewahren, müssen wir die Funktionsweise des Geistes und das gesamte System der Emotionen verstehen. Der Buddhismus beschreibt 51 Geistesfaktoren in sechs Kategorien: fünf allgegenwärtige Geistesfaktoren, fünf bestimmende Geistesfaktoren, elf heilsame Emotionen, sechs schädliche Grundemotionen, zwanzig schädliche Neben-Emotionen und vier veränderliche Geistesfaktoren. Auf der Grundlage, dass wir diese verstehen, können wir lernen, schädliche Emotionen zu überwinden, wenn sie entstehen – selbst unter schwierigen Umständen. Ein friedvoller Geist ist für uns erreichbar.“
Konstantin Anokhin, Direktor des Instituts für Fortgeschrittene Hirnforschung an der Staatlichen Universität Moskau wollte etwas über die Beweise für die Existenz von vergangenen Leben wissen. Seine Heiligkeit sagte ihm, dass er von Fällen gehört hat, in denen Kinder, die Gemeinschaften angehören, die der Reinkarnation keinen Glauben schenken, offenbar Erinnerungen an vergangene Leben beschreiben. Unter Indern und Tibetern – Menschen, die die Idee von vergangenen und zukünftigen Leben akzeptieren – sind Kinder mit solchen Erinnerungen nicht ungewöhnlich.
„Es gab einen in Tibet geborenen Jungen, der, sobald er sprechen konnte, bei seinen Eltern darauf bestand: ‚Hier gehöre ich nicht hin, ich will nach Indien.‘ Sie brachten ihn nach Indien und kamen nach Dharamsala. Aber auch dort sagte er: ‚Hier gehöre ich nicht hin‘. Also brachten sie ihn in die tibetische Gemeinde Mundgod in Südindien. Als sie das Kloster Gaden erreichten, sagte der Junge zu ihnen: ‚Hier gehöre ich hin.‘ Und er führte sie zu einem der Häuser. Sie gingen hinein und er zeigte auf eine Schublade und sagte: ‚Meine Brille ist da drin.‘ Sie schauten nach und fanden dort die Brille aus seinem letzten Leben.
„In meinem Fall, als kleiner Junge, erkannte ich einige Mönche in der Gruppe, die nach der Reinkarnation des Dalai Lama suchte. Ich konnte mich an ihre Namen erinnern. Eine der wichtigsten Vorgehensweisen bei der Suche nach der Reinkarnation eines Lamas besteht darin, dem Kandidaten eine Reihe von persönlichen Gegenständen zu zeigen, die ihm in seinem letzten Leben gehört haben. Wenn ein Kind in der Lage ist, die Gegenstände zu erkennen und auszuwählen, die ihm ‚früher einmal gehört haben‘, wird dies als positives Zeichen gewertet. Allerdings verblassen diese Erinnerungen, wenn die Kinder erwachsen werden.
„Etwas anderes, das als bedeutsam angesehen werden könnte, ist, dass einige Kinder die Philosophie des Buddhismus beispielsweise viel leichter lernen und studieren können als andere. Dies wird als Hinweis darauf gewertet, dass sie mit dem Stoff bereits aus dem Studium in ihrem früheren Leben vertraut sind. In meinem Fall lernte ich leicht, was ein Zeichen dafür sein könnte, dass ich das zuvor Gelernte wiederholte.”
Yulia Boitsova, Forscherin am Labor für Neurovisualisierung am Institut für das Menschliche Gehirn in St. Petersburg, fragte, ob es äußere Anzeichen gibt, die zeigen, dass ein Praktizierender in eine tiefe konzentrative Versenkung eingetreten ist. Seine Heiligkeit stellte zunächst fest, dass zwei Arten der Meditation unterschieden werden können. Die einsgerichtete Konzentration stärkt die geistigen Fähigkeiten und fokussiert den normalerweise zerstreuten Geist. Dies ist eine gängige Praxis. Daneben gibt es die analytische Meditation, die ein tiefes Verständnis zu erlangen sucht.
Die einsgerichtete Meditation führt zu dem Zustand des Stillen Verweilens (Shamatha). Der Geist wird zur Ruhe gebracht und infolgedessen wird der Herzschlag langsamer. Die meditierende Person ist körperlich entspannt, was zu ihrer oder seiner guten Gesundheit beiträgt.
Geshe Ngawang Norbu vom Kloster Sera Je, wo er der Betreuer des Russischen Wissenschaftszentrums ist, fragte Seine Heiligkeit, ob es eine bestimmte Meditationspraxis gibt, die unabhängig von der eigenen spirituellen Verwirklichung des Einzelnen ähnliche Ergebnisse erzeugt. Seine Heiligkeit antwortete, dass bei allgemeinen Untersuchungen der einsgerichteten und der analytischen Meditation die äußeren Beobachtungen sich nicht sehr unterscheiden würden. Die Subtilität des Meditationsobjekts, z.B. der Leerheit, wird jedoch wahrscheinlich anders sein.
Lev Yakovlev, ein Student von Prof. Alexander Kaplan, erkundigte sich, ob so etwas wie Klares Licht im gewöhnlichen Leben erlebt werden kann. Seine Heiligkeit stellte zunächst klar, dass das Anbringen von Elektroden an Kopf und Körper der Testperson, um subtile Veränderungen im Gehirn oder in der Physiognomie zu messen, keine Probleme verursachen sollte.
Seine Heiligkeit fuhr fort zu erklären, dass einige Gelehrte sagen, dass der Auflösung der 80 begrifflichen Wahrnehmungen die drei Visionen der Weißen Erscheinung, der Roten Vermehrung und des Schwarzen Nah-Erlangens folgen. Andere behaupten, dass ihre Auflösung gleichzeitig erfolgt.
Seine Heiligkeit merkte auch an: „Eine Möglichkeit, die verschiedenen Ebenen des Bewusstseins zu erkennen, besteht darin, dem Schlaf besondere Aufmerksamkeit zu schenken, wodurch man das Klare Licht des Schlafes erkennen kann, das eine gröbere Ebene des Geistes des Klaren Lichts ist.
„Es gibt Menschen, die, wenn sie einschlafen, ihren Traumkörper von ihrem physischen Körper trennen können. Es gibt eine Geschichte aus Tibet von einer älteren Mutter, die ihrem Sohn sagte, dass sie für mehrere Tage schlafen würde. Sie bat ihn, sie während dieser Zeit nicht zu stören. Ihr Traumkörper verließ ihre physische Form und reiste hierhin und dorthin. Das ist eine Fähigkeit, die manche Menschen aufgrund von spirituellen Erfahrungen in ihren früheren Leben haben. Als sie erwachte, war sie in der Lage, Menschen und Ereignisse zu beschreiben, die sie auf ihren Reisen gesehen hatte und von denen sie sonst nicht hätte wissen können.
Lobsang Phuntsok, ein Mönch aus dem Kloster Sera Je, der Forschungen betreibt, wollte von Seiner Heiligkeit wissen, was der Unterschied zwischen Menschen ist, die wirklich in Thukdam eintreten, und anderen, deren Bewusstsein aufgrund von Anhaftung zurückbleibt. Seine Heiligkeit stimmte zu, dass es möglich ist, dass das Bewusstsein mancher Menschen aufgrund ihrer Anhaftung an etwas in diesem Leben sich nicht trennen kann, wenn sie sterben. Ein echter Praktizierender ist jedoch in der Lage, Thukdam zu betreten, wenn er täglich den Auflösungsprozess als Teil seiner tantrischen Praxis visualisiert. Dies würde mit der Art des Lebens, das sie geführt haben, übereinstimmen.
Nikolai Syrov, ein weiterer Student von Prof. Alexander Kaplan, fragte sich, ob das heutige unterschiedliche Lebenstempo, im Vergleich zu früher, unsere Fähigkeit zu meditieren beeinflussen könnte. Seine Heiligkeit meinte, dass es mehr vom Praktizierenden als von den Umständen abhängt. Milarepa lebte wie ein armer Bettler in leeren Höhlen und dies stärkte seine Praxis. Sein Lehrer Marpa Lotsawa hingegen lebte als Familienvater, war aber dennoch in der Lage, eine einwandfreie Meditationspraxis zu entwickeln.
Die Mönche sollten in der Lage sein, Je Tsongkhapas Beispiel zu folgen, die klassischen Texte zu studieren, über das Gelernte zu reflektieren und dann in der Meditation Erfahrung damit zu sammeln. Seine Heiligkeit führte das Beispiel von Tongpön Rinpoche in Drepung an, der der Lehrer von Tehor Kyorpön Rinpoche war, der wiederum Gyen Nyima und Khensur Pema Gyaltsen lehrte. Aufgrund seiner starken Entschlossenheit und inneren Stärke war er in der Lage, tiefe Meditation aufrechtzuerhalten, auch wenn er in einem lauten, belebten Kloster lebte.
Prof. Kaplan fragte Seine Heiligkeit nach seinem Rat über die Nutzung von Tieren für wissenschaftliche Experimente. Seine Heiligkeit räumte ein, dass es möglich sein kann, mit Hilfe von Tieren etwas über die Beziehung zwischen dem Geist, dem Gehirn und dem Körper zu lernen. Der wichtigste Punkt, den er betonte, war, dass die Tiere nicht zu Schaden kommen und mit Mitgefühl behandelt werden sollten. Solche Experimente können Teil einer umfassenden Vision sein, die allen Lebewesen zugutekommt.
Konstantin Anokhin stellte eine weitere Frage zur Wiedergeburt. Seine Heiligkeit stellte fest, dass für diejenigen von uns, die keine Erinnerungen an sie haben, vergangene Leben ein verborgenes Phänomen sind, das nur durch logische Begründungen gerechtfertigt ist. Für diejenigen, die Erinnerungen haben, sind sie eine Erfahrung.
Seine Heiligkeit erklärte: „Die Wiedergeburt steht in Verbindung mit dem Bewusstsein. Das Bewusstsein besteht aus einer Kontinuität von Momenten des Bewusstseins. Seine Natur ist klar und gewahr. Der Geist aller bewussten Wesen hat diese Natur. Wenn wir versuchen, einen Anfang des Bewusstseins zu finden, stoßen wir auf die Unumgänglichkeit, dass es aus einer kompatiblen Ursache entstanden sein muss – das heißt aus einem früheren Bewusstsein. Daher kommen wir zu dem Schluss, dass das Bewusstsein keinen Anfang hat, weil seine Ursache ein vorheriger Moment des Bewusstseins sein muss.
„Tiere mögen zwar schärfere Sinneswahrnehmungen haben, aber der Mensch hat die schärfere Intelligenz. Für beide ist jedoch das geistige Bewusstsein entscheidend. Wir sprechen von vergangenen Leben auf der Grundlage der Kontinuität des Bewusstseins. Unser subtilstes Bewusstsein hat keinen Anfang und kein Ende. Der Geist geht also von Leben zu Leben weiter, bis zum Erlangen der Buddhaschaft.”
Seine Heiligkeit sagte zu Lobsang Phuntsok, dass der Faktor, der die buddhistische Wissenschaft mit der modernen Wissenschaft verbindet, darin liegt, dass beide Systeme auf der Logik und der Beweisführung beruhen. Vor einigen Jahren wurde auch die moderne Wissenschaft in den Klöstern eingeführt. Drepung Loseling hat ein Wissenschafts- und Forschungslabor und das Studium der modernen Wissenschaft in den Lehrplan für die Ausbildung der Geshes aufgenommen. Gleichzeitig helfen buddhistische Mönche und Nonnen modernen Wissenschaftlern, die Funktionsweise des Geistes besser zu verstehen.
Geshe Lodoe Sangpo fragte, ob es wahrnehmbare körperliche Anzeichen dafür gibt, dass sich eine Person im Zustand des Thukdam befindet. Seine Heiligkeit berichtete, dass sein Lehrer Ling Rinpoche ihm von Fällen berichtet hatte, in denen eine Person scheinbar in einem Zustand von Thukdam war, aber in Wirklichkeit von einem Geist besessen war. Solche Menschen konnte leicht umgestoßen werden.
Seine Heiligkeit stellte klar, dass im Allgemeinen jemand, von dem angenommen wird, dass er in den Zustand des Thukdam eingetreten ist, dafür bekannt sein sollte, dass er zuvor eine gute spirituelle Praxis unternommen hat, die auf den drei Hauptaspekten des Pfades basiert – der Entsagung (d.h. der Entschlossenheit, sich vom Daseinskreislauf zu befreien), dem Erleuchtungsgeist und einem Verständnis der Leerheit von inhärenter Existenz. Sie sollten eine solide tantrische Praxis entwickelt haben, die eine beständige Vertrautheit mit den drei Visionen und der Praxis beinhaltet, die die drei Körper in den Pfad bringt.
Der Projektkoordinator Telo Tulku Rinpoche sprach im Namen der gesamten Gruppe russischer Neurowissenschaftler und forschender Mönche aus den Klöstern Sera Je, Sera Me, Gaden Jangtse, Shartse, Drepung Gomang, Loseling, Tashi Lhunpo, Gyume und Gyutö, als er am Ende Seiner Heiligkeit tiefste Dankbarkeit für seinen Rat und seine Unterstützung aussprach. Rinpoche erklärte, es sei ihm eine Ehre, Seiner Heiligkeit weiterhin als sein Repräsentant in Russland, der Mongolei und den Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu dienen.
Er betete für die gute Gesundheit und das lange Leben Seiner Heiligkeit.