Thekchen Chöling, Dharamsala, HP, Indien - Sobald Seine Heiligkeit der Dalai Lama den Raum betreten hatte, von dem aus er Online-Gespräche führt, begannen Mönche in Taiwan, das Herz-Sutra auf Chinesisch zu sprechen. Danach begrüßte Herr Chung Chih Seine Heiligkeit im Namen des Organisationskomitees. Er erinnerte Seine Heiligkeit daran, dass die Hauptschülerinnen und -schüler der heutigen Unterweisung Taiwanesen und Chinesen waren. Viele von ihnen gehören der Organisation für Glückseligkeit und Weisheit an, die von dem verstorbenen Bhikshu Tenzin Jamchen gegründet wurde, der viele treue Schülerinnen und Schüler nach Dharamsala gebracht hatte. Chung Chih versicherte Seiner Heiligkeit, dass alle diese Schülerinnen und Schüler seine Ratschläge und Unterweisungen ernst nehmen und sich bemühen, zu studieren und zu meditieren.
Seine Heiligkeit antwortete, dass er sich freue, seine Dharma-Freunde aus Taiwan heute online zu sehen. Er merkte an, dass vom Standpunkt des Dharma aus gesehen, die Beziehungen zwischen dem spirituellen Meister und der Schülerin beziehungsweise dem Schüler auch in zukünftigen Leben fortbestehen werden.
Seine Heiligkeit sagte dann: „Heute werde ich den Text Lobpreis an das abhängige Entstehen von Lama Tsongkhapa erklären. Doch zunächst möchte ich euch eine kurze Einführung in den Buddhismus geben.
„Buddha Shakyamuni wurde vor mehr als 2500 Jahren in Indien geboren. Er manifestierte sich, um das Dharma zu lehren, und nicht um Wunder zu vollbringen. Und er riet seinen Schülern: Ihr seid eure eigenen Beschützer. Was immer ihr erlebt, hängt von der Natur eurer eigenen Handlungen ab. Er ermutigte sie, ihren Verstand zu schulen. Er zeigte ihnen, was man annehmen und von was man ablassen sollte. Dies führt dazu, dass man die Pfade und Stufen erklimmt.
„Buddha sah, dass es für ihn keinen anderen Weg gab, den Wesen zu helfen. Er lehrte die Vier Edlen Wahrheiten und erläuterte ihre Natur, ihre Wirkung und ihr Resultat. Warum hat er das getan? Weil niemand von uns leiden will. Wir alle wollen glücklich sein. Er lehrte, dass Glück und Leid durch Ursachen und Umstände zustande kommen. Sie entstehen nicht zufällig.
„Er riet seinen Schülern, das Leiden kennenzulernen, und erklärte ihnen das Leiden des Leidens, das Leiden der Veränderung und das alldurchdringende Leiden. Wenn wir uns vom Leiden befreien wollen, müssen wir zuerst erkennen, was Leiden ist. Es entsteht weder ohne Ursachen und Umstände, noch ist es von äußeren Faktoren abhängig. Was zu Leiden führt, ist unser eigener ungezähmter Geist. Durch ihn entstehen negatives Karma und Verblendungen.
„Da wir glücklich sein wollen, erklärte Buddha die Notwendigkeit, die Ursachen des Glücks zu suchen und sie in die Tat umzusetzen. Die Frage, die sich dann stellt, ist, ob wir das Leiden vollständig überwinden können. Und als Antwort darauf lehrte Buddha, dass die wahre Beendigung des Leidens und seiner Ursachen erreicht werden kann. Dies ist die einzigartige Lehre Buddhas. Weil die wahre Beendigung erreicht werden kann, können Karma und Verblendungen überwunden werden. Dies ist die Natur der Befreiung.
„In seinem Text Grundlegende Weisheit schrieb Nagarjuna:
Durch die Beseitigung von Karma und Verblendungen kommt es zur Befreiung.
Karma und Verblendungen entstehen durch begriffliche Fehlwahrnehmung.
Diese entstehen durch die geistige Fabrikation.
Fabrikationen enden durch die Leerheit.
(18.5)
„Das Verstehen der Leerheit beseitigt die grundlegende Unwissenheit über die Natur der Dinge. An anderer Stelle des gleichen Textes erklärt Nagarjuna:
Das, was immer in Abhängigkeit entstanden ist,
wird leer genannt.
Leerheit ist die abhängige Benennung
und damit der mittlere Weg.
(24.18)
Es gibt nichts,
das nicht in Abhängigkeit entstanden ist.
Daher gibt es nichts,
was nicht leer ist.
(24.19)
„Der beste Kommentar zu Nagarjunas Sichtweise ist Chandrakirtis Eintritt in den Mittleren Weg. Die Verse am Ende des sechsten Kapitels dieses Kommentars beschreiben, dass der Bodhisattva, von den Strahlen des Verständnisses erhellt, so deutlich wie eine Amalaki-Beere auf seiner offenen Handfläche erkennt, dass die drei weltlichen Bereiche in keiner Weise inhärent entstanden sind. Und er schreitet somit Kraft der konventionellen Wahrheit zur Beendigung [des Leidens].“
Seine Heiligkeit erwähnte, dass es mehrere Arten der logischen Beweisführung gibt, um die Leerheit zu demonstrieren. Er zitierte dazu auch drei Verse aus dem sechsten Kapitel von Chandrakirtis Eintritt in den Mittleren Weg:
Wenn etwas durch seine eigenen Merkmale in Abhängigkeit [inhärent] existierte,
würden die Dinge durch Verneinung zunichtegemacht.
Folglich wäre die Leerheit die Ursache für die Vernichtung der Dinge.
Da dies absurd ist, existieren die Dinge nicht [inhärent].
(6.34)
Wenn die Dinge gründlich analysiert werden,
kann außer der Soheit keinerlei Anhaltspunkt
für etwas Bestehendes gefunden werden.
Darum ist die begriffliche Wahrheit der Welt nicht zu untersuchen.
(6.35)
Aufgrund logischer Beweisführung ist im Rahmen der Soheit
das Entstehen aus sich selbst und aus etwas [inhärent] anderem unlogisch.
Da aufgrund dieser Beweisführung auch ihre begriffliche Existenz nicht plausibel ist,
wodurch existiert also euer Entstehen?
(6.36)
Lama Tsongkhapa sagte dazu im Lobpreis an das abhängige Entstehen:
Du hast Nagarjuna vorausgesagt, als jemanden,
der den Weg deines unübertrefflichen Fahrzeugs klar erläutert
und die Extreme der Existenz und Nicht-Existenz beseitigt.
Seine Abhandlungen sind ein Garten [nächtlicher] Kunda-Blumen.
(49)
Die weite Sphäre seiner unbefleckten Erkenntnis,
ungehindert im Himmel der Belehrungen,
vertreibt die Finsternis extremer Ansichten
und überstrahlt die Konstellation der fehlerhaften Rede.
(50)
Die ausgezeichneten Erklärungen Chandras,
erhellende Kränze weißen Lichts,
als ich diese durch die Güte meines Lamas wahrnahm,
fand mein Geist Erleichterung.
(51)
Seine Heiligkeit bekräftigte seine Zuversicht, dass die Beendigung erreicht werden kann und dass es dazu notwendig ist, dem wahren Pfad zu folgen. Dazu gehören die Drei Übungen in Ethik, Konzentration und Weisheit. Ein Schlüsselfaktor bei der Überwindung der Unwissenheit ist das Verständnis, dass die Dinge nicht so existieren, wie sie erscheinen. Seine Heiligkeit stellte fest, dass heutzutage sogar Quantenphysiker ähnliche Beobachtungen machen.
Die tiefgründigste Bedeutung des Buddhismus liegt in den Begriffen des abhängigen Entstehens und der Benennung in Abhängigkeit von anderen Faktoren begründet. Lama Tsongkhapa reflektierte und meditierte viele Jahre lang über diese Aspekte. Er beschäftigte sich auch intensiv mit Praktiken des Reinigens von negativem Karma und der Ansammlung von Verdienst und Weisheit.
Während eines Retreats in Wölkha träumte er eines Nachts von Nagarjuna und seinen fünf engsten Anhängern. Einer von ihnen, der eine bläuliche Hautfarbe hatte, trat vor und berührte Lama Tsongkhapas Kopf mit einem Text. Am nächsten Tag konsultierte Lama Tsongkhapa die als Buddhapalita bekannte Abhandlung und erlangte Einsicht in Leerheit und abhängiges Entstehen. Infolgedessen verfasste er diesen Text, den Lobpreis an das abhängige Entstehen, der seine feste Überzeugung von den Lehren Buddhas zum Ausdruck bringt.
Seine Heiligkeit erläuterte: „Ich erhielt die Übertragung des Textes Lobpreis an das abhängige Entstehen von meinem Tutor Kyabje Trijang Rinpoche als er mir eine Übertragung der gesammelten Werke von Lama Tsongkhapa gab.“
Seine Heiligkeit begann, den Text zu lesen. Die erste Strophe preist Buddha wie folgt: „Derjenige, dessen Einsicht und Unterweisung ihn als Weisen und Lehrer unübertrefflich machen“. Der zweite Vers bezieht sich auf die Wurzel des Leidens als Unwissenheit, die durch das Verständnis des abhängigen Entstehens entwurzelt werden kann. Obwohl andere buddhistische Schulen das abhängige Entstehen vertreten, kommt es am subtilsten zum Ausdruck, wenn die Dinge als lediglich durch ihre Benennung existierend beschrieben werden.
Während Seine Heiligkeit die Verse weiter vorlas, wies er seine Zuhörer darauf hin, dass wir alle ein instinktives Gefühl für ein „Selbst“ oder „Ich“ haben. Wenn wir jedoch danach suchen, können wir nichts finden. Er zitierte dazu einen Vers aus Nagarjunas Ratnavali: Kostbarer Kranz (des Mittleren Weges) — Unterweisungen für einen König
Ein Wesen ist nicht Erde, nicht Wasser,
nicht Feuer, nicht Wind, nicht Raum,
nicht Bewusstsein und nicht alle [zusammen].
Was für ein Wesen gibt es, das anders ist als diese [Komponenten]?
1.80
Seine Heiligkeit stellte fest, dass die Dinge eine objektive, unabhängige Existenz zu haben scheinen, aber wenn sie ohne Abhängigkeit von anderen Faktoren existieren würden, wäre es unmöglich, Befreiung zu erlangen. Er wies darauf hin, dass wir etwas als leer bezeichnen, wenn wir sagen: „Form ist leer.“
Seine Heiligkeit beendete seine heutige Erläuterung des Textes an der Stelle, an der Lama Tsongkhapa schreibt:
Die beiden Tatsachen, dass (1) alles leer
von seiner eigenen Wesensart ist und
dass (2) aus diesem jene Wirkung entsteht,
ergänzen einander ohne Gegensatz.
(20)
Was ist bewundernswerter als dies?
Was ist wunderbarer als dies?
Wenn du auf diese Weise gepriesen wirst,
ist das der [wahre] Lobpreis und kein anderer.
(21)
Bei der Beantwortung von Fragen aus dem Publikum stellte Seine Heiligkeit klar, dass es ein subtiler Aspekt des abhängigen Entstehens ist, wenn man sich auf Dinge bezieht, die lediglich benannt werden. Er bemerkte, dass manches Karma oder Handeln offensichtlich ist, manches ist verborgen, während einige subtile Aspekte des Handelns unklar sind. Er erklärte, dass das Verständnis der Leerheit uns helfen kann, die Wirkung der Ursachen zu verstehen.
Seine Heiligkeit beschrieb seine eigene Erfahrung und erklärte, dass er sich beim Aufwachen am Morgen bewusst ist, dass er ein Gefühl von „Ich“ hat. Er sucht danach und kommt zu dem Schluss, dass es nur in Form einer abhängigen Benennung existiert. Es existiert nicht so, wie es erscheint. Er bestätigte, dass man erst dann, wenn man es nicht findet, erkennt, dass es nur durch eine Benennung existiert.
Das abhängige Entstehen wird als der König der Begründungen bezeichnet, weil es in der Lage ist, die beiden Extreme – Beständigkeit und Nihilismus – gleichzeitig zu vertreiben.
Wenn wir etwas sehen, beinhaltet die Erfahrung die Sinneswahrnehmung, aber das Urteil, dass es nicht so existiert, wie es erscheint, beinhaltet das geistige Bewusstsein. Wenn wir darüber nachdenken, dass die Dinge keine inhärente Existenz haben, schwindet unser Gefühl für ihre unabhängige Existenz. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Feststellung, dass etwas leer ist, nicht bedeutet, dass es nicht existiert.
Bei der Beantwortung einer Frage über die Anhäufung der beiden Ansammlungen von Verdienst und Weisheit in der Tantra-Praxis betonte Seine Heiligkeit, wie wichtig es ist, fest von der Leerheit überzeugt zu sein. Er wies darauf hin, dass man zuerst über die Leerheit meditiert und dann visualisiert, wie sie in der Form der Gottheit entsteht.
Auf die Frage nach der Kombination von Praktiken, die mit dem abhängigen Entstehen und dem Erleuchtungsgeist verbunden sind, führte Seine Heiligkeit seine Zuhörerinnen und Zuhörer durch den allumfassenden Yoga-Geist. Dazu gehört, zunächst Bodhichitta zu entwickeln und sich vorzustellen, dass es sich in eine klare Mondscheibe im Herzen verwandelt. Dann beschrieb er, wie man über die Leerheit nachdenkt und sich vorstellt, dass sich dieses Verständnis in ein weißes Vajra verwandelt, das auf dem Mond im Herzen steht.
Diese Praxis des allumfassenden Yoga-Geistes beinhaltet eine stabile Visualisierung von Methode und Weisheit im Herzen. Seine Heiligkeit sagte, dass sich die Schülerinnen und Schüler, die in der Lage sind, diese Praxis täglich durchzuführen, sich zu den wahren Schülern des Dalai Lama zählen können. So wie er Buddha, Nagarjuna und Lama Tsongkhapa als seine Vorbilder ansieht, können diese Schüler den Dalai Lama als ihr Vorbild betrachten.
Er erklärte zum Abschluss der heutigen Online-Übertragung: Um dem Lehrer eine Freude zu machen, sollte man sich überlegen, was die Absicht des Lehrers ist – es ist die Intention, dass die Schülerinnen und Schüler über die Sicht der Leerheit nachdenken und Bodhichitta entwickeln. Dies beinhaltet die Aufrechterhaltung der umfassenden Überlieferungslinie, der Überlieferungslinie der tiefgründigen Sichtweise und der Überlieferungslinie der Segnungen, die aus der Praxis des Gottheit-Yoga entstehen. Dies ist ein Weg, dem die Schülerinnen und Schüler folgen können. Seine Heiligkeit fügte hinzu, dass es darüber hinaus wichtig ist, fröhlich zu bleiben und der Welt ein lächelndes Gesicht zu zeigen, nicht ein strenges oder grimmiges Gesicht.