Thekchen Chöling, Dharamsala, HP, Indien - Heute Morgen eröffnete Sofia Stril-Rever ein Gespräch zwischen Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama in seiner Residenz in Dharamsala und Gästen des französischen Programms „Sei du die Liebe“ und des „Kollektiv für eine bessere Welt“ aus Kanada. Sie wies darauf hin, dass der Schlüssel zu einer nachhaltigen Zukunft eine altruistische Geisteshaltung ist, die Zusammenarbeit über Wettbewerb stellt und dem Wohlergehen der Menschen als Ganzes dient. Anschließend lud sie Seine Heiligkeit ein, zu erklären, wie wir im 21. Jahrhundert durch die Entwicklung altruistischer Liebe in der Lage sein können, unsere Differenzen zu überwinden und auf globalen Frieden, Gerechtigkeit und Glück hinzuarbeiten.
„Ich bin jetzt 86 Jahre alt“, begann Seine Heiligkeit. „In meinem Leben habe ich viel Blutvergießen in unterschiedlichen Kriegen beobachtet. Das Ergebnis dieser Gewalt war nur Leid und mehr Hass. Das ist einer der Gründe, warum ich die Europäische Union bewundere. Einige der Nationen, die zu ihren Mitgliedern gehören, insbesondere die Franzosen und die Deutschen, haben über die Jahrhunderte hinweg regelmäßig gegeneinander gekämpft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben sie jedoch erkannt, dass es nichts bringt, seinen Nachbarn ständig als Feind zu betrachten. Denkt einmal darüber nach, wie viele Menschenleben in diesem Konflikt verloren gegangen sind und wie viele Menschenleben in dem Frieden der letzten rund 70 Jahre bewahrt wurden.
„Heute müssen wir an die ganze Menschheit denken. Es reicht nicht mehr aus, nur an die eigene Nation oder den eigenen Kontinent zu denken. Die ganze Welt muss mit einbezogen werden. Wir müssen anerkennen, dass wir alle Teil einer globalen Wirtschaft sind und dass wir alle vom Klimawandel und der globalen Erwärmung bedroht sind.
„Auf einer grundlegenden Ebene sind wir alle gleich als menschliche Wesen. Es mag kleine Unterschiede aufgrund der Farbe unserer Haut, der Form unserer Augen oder der Größe unserer Nasen geben – aber wenn es um unsere Emotionen und unser Bewusstsein geht, sind wir alle gleich.
„Ich setze mich dafür ein, ein umfassenderes Bewusstsein für die Verbundenheit der Menschheit zu fördern. Ich gebe zu, dass ich eigentlich hauptsächlich an meine tibetischen Landsleute gedacht habe als ich noch in Tibet war. Aber nachdem ich ins Exil nach Indien gekommen bin, habe ich Menschen aus vielen verschiedenen Orten getroffen und mich mit ihnen angefreundet. Ich habe erkannt, dass wir alle gleich darin sind, Menschen zu sein.
„Wie ich schon gesagt habe – es ist wichtig, dass wir an die ganze Welt denken. Das ist realistisch. Wir müssen uns die Verbundenheit der Menschheit in Erinnerung rufen. Unsere Unterschiede von Religion, ethnischer Zugehörigkeit oder Nationalität sind zweitrangig im Vergleich zu dem, was wir als menschliche Wesen gemeinsam haben.
„Ob man religiös ist oder nicht, ist eine persönliche Angelegenheit, aber die Tatsache bleibt, dass alle unsere religiösen Traditionen die Botschaft von der Bedeutung der liebenden Zuneigung tragen. Das ist der Grund dafür, dass die verschiedenen Religionen zusammen existieren können. Und deshalb setze ich mich dafür ein, die interreligiöse Harmonie zu fördern.
„Ich bitte euch alle, meine Freunde, sich an dem Versuch zu beteiligen, eine glücklichere Welt und eine glücklichere Menschheit aufzubauen. Nun, lasst uns ein paar Fragen diskutieren.“
Ian Speirs von dem „Kollektiv für eine bessere Welt“ erklärte, dass sich unter den Teilnehmenden sechs Gruppen befänden. Deren Mitglieder würden sich vorstellen und eine oder einer von ihnen würde im Namen der Gruppe eine Frage stellen.
Vivienne Harr, Raheen Fatima und Clover Hogan, Mitglieder der Gruppe Junger Aktivistinnen und Aktivisten, stellten sich zuerst vor. Clover fragte: „Wann haben Sie sich entschieden, persönlich Verantwortung zu übernehmen, und wie kam es dazu?“
Seine Heiligkeit antwortete, dass er ein religiöser Mensch ist, der von Kindheit an geschult wurde, Fürsorge für alle fühlenden Wesen zu entwickeln. „Im Exil erkannte ich, als ich Menschen aus vielen verschiedenen Teilen der Welt traf, dass wir alle als menschliche Wesen gleich sind – körperlich, geistig und emotional. Trotzdem sind wir mit weit verbreiteten Uneinigkeiten konfrontiert, die zu Konflikten und Gewalt führen. In der Vergangenheit war es natürlich, dass die Menschen eine eingeschränkte Perspektive hatten; ihre Sorge beschränkte sich auf ihr eigenes Land. Jetzt müssen wir an die ganze Welt denken. Das ist sowohl realistisch als auch von praktischem Nutzen.
„Wo immer ich hingehe, wem immer ich begegne – alle sind genauso ein menschliches Wesen. An andere Menschen nur in den Dimensionen von ‚wir‘ und ‚sie‘ zu denken, ist unzeitgemäß und eine Ursache für Probleme.“
Für die zweite Gruppe wollte Michael Render wissen, warum Angst so oft weiter verbreitet ist als Liebe. Seine Heiligkeit sagte ihm, dass engstirniges Denken nicht zielführend ist. Viel wichtiger ist es, sich um die ganze Welt zu kümmern.
Für die nächste Gruppe fragte Béatrice Martin, wie wir mehr Gleichberechtigung erreichen können.
„Obwohl es kleine Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt, sind wir als Menschen alle gleich“, stellte Seine Heiligkeit fest. „Wenn man Frauen und Männer in Bezug auf körperliche Stärke vergleicht, sind Frauen im Allgemeinen nicht so stark. Aber zum Beispiel hat Buddha Frauen und Männern die gleichen Rechte zugestanden. Und was die Intelligenz anbelangt, gibt es keinen Unterschied. Es gibt auch keinen Unterschied zwischen den Gehirnen von Frauen und Männern. Wir müssen uns stärker um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern bemühen, und wenn religiöse Überzeugungen oder traditionelle Bräuche im Wege stehen, ist es an der Zeit, diese zu ändern. Im Großen und Ganzen brauchen sich Frauen und Männer gegenseitig, und die Bedürfnisse sind gleich.“
Als sich Mozhdah Jamalzadah aus der Gruppe der Frauen-Influenzerinnen vorstellte, erzählte sie Seiner Heiligkeit, wie gespalten und entkräftet ihr Heimatland Afghanistan geworden ist. Stephanie Benedetto und Susan Rockefeller stellten sich ebenfalls vor und Susan Rockefeller fragte Seine Heiligkeit, wie seine Unterweisungen Frauen helfen können, für sich selbst, andere und die Welt zu sorgen.
„Mein Hauptinteresse ist es, die Menschen zu ermutigen, Warmherzigkeit zu entwickeln“, sagte Seine Heiligkeit ihnen. Sobald wir geboren sind, kümmert sich unsere Mütter um uns – sie füttert uns mit Milch, beschützt uns usw. Frauen sind im Großen und Ganzen sensibler für die Gefühle anderer. Von Natur aus scheinen sie mitfühlender zu sein. Deshalb brauchen wir Frauen, die sich mehr engagieren. Manchmal glaube ich, dass die Welt sicherer wäre, wenn wir mehr Frauen in Führungspositionen hätten. Schaut euch Finnland und Neuseeland an und die Errungenschaften ihrer weiblichen Führungskräfte.
„Wir haben alle die gleichen Rechte, aber ich denke, es ist an der Zeit, dass Frauen mehr Verantwortung im öffentlichen Leben übernehmen. Wir brauchen sie, um das Mitgefühls stärker zu fördern.“
Für die fünfte Gruppe fragte die langjährige Sängerin und Pazifistin Buffy Sainte-Marie, welche Schritte wir unternehmen können, um Frauenfeindlichkeit mitfühlend zu begegnen.
„Durch Erziehung und Bildung“, antwortete Seine Heiligkeit. „Das Denken über Frauen als irgendwie weniger wertvoll oder minderwertig muss sich ändern. Um eine friedlichere Welt zu schaffen, müssen Frauen in der Lage sein, ihre Rolle zu spielen.“
Xiuhtezcatl Martinez, Massey Whiteknife und Emmanuel Jal stellten sich im Namen der Gruppe der Friedensaktivistinnen und Friedensaktivisten vor. Emmanuel Jal, ein Flüchtling aus dem Sudan, fragte Seine Heiligkeit, wie er das Trauma, ins Exil zu gehen, überwunden hat. Seine Heiligkeit antwortete, dass die Beziehungen zwischen Tibet und China schon sehr lange bestehen und mindestens bis ins siebte Jahrhundert zurückreichen, als ein tibetischer König eine chinesische Prinzessin heiratete. Das Problem in der heutigen Zeit ist das in China vorherrschende unfreie, totalitäre System, sagte er. Es geht sogar so weit, dass engstirnige kommunistische Beamte Schritte zur Erhaltung der tibetischen Sprache und Kultur mit Separatismus gleichsetzen und versuchen, sie zu unterbinden.
„Als ich 1954 nach China ging, war ich beeindruckt vom Engagement, das Mao und andere kommunistische Führer für das Wohlergehen der einfachen Arbeiterklasse zeigten. Aber später schuf die Art und Weise, wie sie ihre Macht ausübten und die gewaltsame Unterdrückung nach Tibet brachten, Probleme und wir flüchteten.
„Im Hinblick auf die Verbundenheit der Menschheit müssen wir alle friedlich und menschlich zusammenleben. Wir halten uns nicht mit den Unterschieden zwischen Chinesen und Tibetern auf. Wir sind geflohen, weil es für uns gefährlich war, in Tibet zu bleiben. Ich wurde von alten Freunden an der indischen Grenze getroffen. Später traf ich Pandit Nehru und er hat uns sehr unterstützt. Er half uns, Schulbildung für unsere Kinder anzubieten und die Zentren des Studierens für Mönche und Nonnen wieder einzurichten.
„Ich bin ein Flüchtling, aber ich bin auch ein Gast der indischen Regierung. Wir sind froh, dass wir unsere Kultur bewahren konnten, die auf Shantarakshita zurückgeht, der im achten Jahrhundert den Buddhismus in Tibet einführte. Shantarakshita begründete die Nalanda-Tradition, eine Art der Unterweisung, die hauptsächlich auf logischer Beweisführung beruht. Dadurch konnten wir eine gute Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aufbauen.
„Wären wir nicht zu Flüchtlingen geworden, wäre unser Blickwinkel eingeschränkter gewesen. Ich glaube, als Flüchtling bin ich realitätsbezogener geworden.”
Massey Whiteknife, ein Mitglied des indigenen Stammesrats Mikisew Cree First Nation in Kanada, fragte, ob die traditionellen Lehren seines Volkes über Liebe, Respekt, Mut, Ehrlichkeit, Weisheit, Demut und Wahrheit die Menschheit und die Erde heilen können.
Seine Heiligkeit antwortete, dass indigene Völker im Allgemeinen mehr im Einklang mit der Natur gelebt haben. „Letztendlich sind wir als fühlende Wesen von der Natur abhängig, also müssen wir auch weiterhin unsere engen Beziehungen zu ihr bewahren. Manchmal scheinen wir zu denken, dass die Technologie unsere Probleme lösen wird und uns erlaubt, zu tun, was immer wir wollen. Aber es wäre besser, wenn wir uns auf die Kraft der Natur verlassen würden. Wir müssen zum Beispiel die Verbrennung von fossilen Brennstoffen zur Energiegewinnung einschränken und stattdessen auf Windkraftanlagen und Solarenergie setzen.“
Bei der Beantwortung der Frage von Raheem Fatimas, ob Seine Heiligkeit in ihrem Alter ein Revolutionär gewesen sei, erzählte Seine Heiligkeit von seinem frühen Interesse an Wissenschaft und Technologie. Als Ergebnis ihrer gemeinsamen Gespräche hatte Mao Zedong die wissenschaftliche Gesinnung Seiner Heiligkeit gelobt. Aber als Mao ihm in die Augen schaute und erklärte, dass Religion das Opium des Volkes sei, verbarg Seine Heiligkeit seinen Schock. Als er in China war, lernte er den Sozialismus zu schätzen – einen Sozialismus, der individuelle Freiheit zulässt, und nicht die strenge Parteikontrolle.
Seine Heiligkeit erzählte Stephanie Benedetto, dass er in der Lage ist, trotz des Leidens in der Welt zu lachen und fröhlich zu bleiben, weil er als buddhistischer Mönch, der in der Nalanda-Tradition ausgebildet wurde, Altruismus entwickelt. Sobald er morgens aufwacht, bringt er sein Gefühl des Altruismus und sein Verständnis dafür, dass alles in Abhängigkeit entstanden ist, neu hervor. Dies bringt tiefen Frieden des Geistes.
Im normalen Lauf der Dinge treten Probleme auf, aber es ist viel nützlicher, sie mit einem friedlichen, glücklichen Geist anzugehen. Sich besorgt oder sich demoralisiert zu fühlen, ist nicht sehr hilfreich. Altruismus hilft. „Ich glaube an den Enthusiasmus und das Teilen von Erfahrungen mit anderen Menschen.”
Buffy Sainte-Marie hat beobachtet, dass es schwierig ist, das Reifen eines Apfels zu beschleunigen, und sie fragt sich, ob es vielleicht möglich ist, die Reifung eines Menschen zu beschleunigen. Seine Heiligkeit wiederholte, dass Menschen im Allgemeinen von ihrer eigenen Mutter Zuneigung und Mitgefühl lernen. „Die Wissenschaftler sagen, dass wir soziale Wesen sind. Wir haben eine natürliche Fürsorge für unsere eigene Gemeinschaft. Warmherzigkeit bringt ein Gefühl des inneren Friedens mit sich. Sie ist ein Gegenmittel zu Wut, Eifersucht und Angst. Wenn man immerzu aggressiv sind, wird niemand mit uns zusammen sein wollen. Aber wenn wir inneren Frieden finden, werden wir viele Freunde finden. Das ist gesunder Menschenverstand.“
Ian Speirs sagte Seiner Heiligkeit, es sei eine Ehre gewesen, mit ihm sprechen zu können. Sofia Stril-Rever dankte Seiner Heiligkeit, seinem Büro und allen, die dazu beigetragen hatten, das Online-Gespräch zu organisieren.
„Ihr unermüdliches Vorbild der Liebe im Dienst der Menschheit ist eine Quelle der Inspiration, des Mutes und der Hoffnung“, fügte sie hinzu. „Bitte passen Sie auf sich auf und bleiben Sie gesund.“
„Wir sehen uns wieder”, antwortete Seine Heiligkeit. „Als menschliche Brüder und Schwestern haben wir alle die Verantwortung, zu einer glücklicheren Menschheit und einer friedlicheren Welt beizutragen. Teilen Sie dies mit Ihren Freunden. Veränderung kommt Schritt für Schritt.“