Thekchen Chöling, Dharamsala, HP, Indien - Heute Morgen kamen mehr als 200 Menschen in der Audienzhalle des neuen Dalai Lama Bibliotheks- und Archivgebäudes zur Eröffnung einer Konferenz zusammen. Das Thema dieser Konferenz ist: „Soziales, emotionales und ethisches Lernen (SEE-Lernen) – eine weltweite Initiative zur Bildung von Herz und Geist“. Viele der Teilnehmenden sind mit dem Emory-Zentrum für Mitgefühl (Emory Compassion Center) und dem Projekt für soziales, emotionales und ethisches Lernen verbunden, das unter der Schirmherrschaft der Emory-Universität in Atlanta, Georgia, entwickelt wurde. Andere sind an der Umsetzung von SEE-Lernen hier in Indien in Einrichtungen wie zum Beispiel der Tong-Len-Schule beteiligt.
Als Seine Heiligkeit der Dalai Lama eintraf, begrüßte er die Gäste auf dem Podium sehr herzlich. Unter ihnen befanden sich der Präsident der Emory-Universität, Gregory L. Fenves, und der Direktor des Emory-Zentrums für Mitgefühl, Lobsang Tenzin Negi.
Jamphel Lhundup, Sekretär des Dalai Lama Trust, sprach einige einleitende Worte. Er begrüßte alle Teilnehmenden und bedankte sich bei Seiner Heiligkeit, dass er bei der Eröffnung der Konferenz anwesend sein kann. Jamphel Lhundup wies darauf hin, dass die verschiedenen Programme, die auf der Konferenz vorgestellt werden, auf die Aktivitäten Seiner Heiligkeit zur Förderung des Mitgefühls zurückgehen. Er erwähnte auch, dass dies die erste Konferenz sei, die in dem neuen Gebäude „Dalai Lama Bibliothek & Archiv“ stattfindet, einer Einrichtung, die die Lehren und das Wirken Seiner Heiligkeit bewahren und als Ressource für zukünftige Generationen dienen soll.
Lobsang Tenzin Negi, Direktor des Emory-Zentrums für Mitgefühl, rezitierte einen Vers auf Tibetisch und Englisch, um Seine Heiligkeit zu würdigen, und dankte ihm für seine heutige Anwesenheit. Lobsang Tenzin Negi erinnerte daran, dass Seine Heiligkeit die Beziehungen zur Emory-Universität seit der Gründung der Emory-Tibet-Partnerschaft im Jahr 1998 unterstützt hat. Die Arbeit der Partnerschaft zur Entwicklung einer Bildung des Herzens und des Geistes spiegelt das Engagement Seiner Heiligkeit für die Förderung der menschlichen Werte wider. Die Einführung des Programms SEE-Lernen ist ein Teil davon. Und die Emory-Wissenschafts-Initiative hat in den letzten 15 Jahren ebenso daran gearbeitet, das Studium der Wissenschaften in tibetischen Klöstern für Mönche und Nonnen einzuführen.
Auch der Präsident der Emory-Universität, Gregory L. Fenves, dankte Seiner Heiligkeit für die Unterstützung dieser Konferenz und erklärte, es sei ihm eine Ehre, daran teilnehmen zu können. Er erwähnte dann, warum er sich vor zwei Jahren entschieden hatte, die Arbeit an der Emory-Universität zu übernehmen: zum einen fördert die Universität die Auffassung, anderen zu nutzen, und zum anderen wird der Nutzen einer Handlung an ihrem Wert, Positives zu erreichen, gemessen.
Er sprach von dem Anspruch – der Motivation, etwas zu erreichen – und dem Wunsch, anderen zu nutzen, und sagte, dass Seine Heiligkeit beide Qualitäten in seinem Handeln verkörpert. Er fügte noch hinzu, dass das kognitiv gestützte Mitgefühlstraining und die Emory-Tibet-Wissenschaftsprogramme einen Wandel herbeiführen und die Art und Weise, wie wir Bildung verstehen, verändern. Er auch merkte an, dass manche Menschen Innovationen so betrachten, als ob alles Neue gut sei. Die Innovationen müssen aber durch die Linse des Mitgefühls betrachtet werden.
Gregory L. Fenves überreichte Seiner Heiligkeit eine Ehrung in Anerkennung seiner fünfzehnjährigen Tätigkeit als „Presidential Distinguished Professor“ an der Emory-Universität. Er würdigte die Weisheit und Klarheit, die Seine Heiligkeit den Menschen in der Welt vermittelt hat, und fragte sich, ob es möglich sei, dass ein einfacher buddhistischer Mönch – wie Seine Heiligkeit sich selbst beschreibt – so viel erreicht und so viele inspiriert hat. Gregory L. Fenves beantwortete diese Frage selbst mit einem „Ja“.
Ravi V. Bellamkonda, der dem Führungsteam der Emory-Universität vorsteht, nannte das Motto der Emory-Universität: „Das weise Herz sucht das Wissen“. Er erzählte über die Arbeit der Universität, die zur Rettung von HIV- und Covid-Patienten beigetragen hat, und erzählte, dass er in dem Fachgebiet Hirntumore forscht.
Ravi V. Bellamkonda ist Indien geboren und aufgewachsen. Er sprach davon, dass er in der Kultur des alten indischen Wissens aufgewachsen ist und dass es notwendig ist, Raum für Reflexion zu schaffen. Er ist überzeugt, dass die Grundsätze des SEE-Lernens und die Arbeit, die durch SEE-Lernen geleistet wird, um das Herz und den Geist zu erziehen, mit Sicherheit den globalen Frieden und das menschliche Miteinander fördern werden.
Seine Heiligkeit der Dalai Lama sprach auf Tibetisch zu den Anwesenden und seine Worte wurden ins Englische übersetzt: „Heute haben sich viele alte Freunde hier versammelt. Mit Trauer habe ich heute Morgen erfahren, dass Kyabje Rizong Rinpoche, der frühere 102. Thronhalter von Ganden, letzte Nacht verstorben ist. Obwohl sein Ableben ein natürlicher Teil des Lebens ist, bin ich traurig, weil er einer meiner Lehrer war.
Ich besuchte ihn einmal in Ladakh, als er gerade einen langen Meditations-Retreat beendete. Er empfing mich auf demselben Sitz, auf dem er so lange meditiert hatte, und gab mir die Übertragung von Nagarjunas Sechs Sammlungen der Beweisführung. Sein Tod erinnert mich an die Vier Siegel:
Alle kausal-bedingten Phänomene sind unbeständig.
Alle befleckten Phänomene sind in der Natur des Leidens.
Alle Phänomene sind leer und ohne ein Selbst.
Nirvana ist Frieden.
Wenn wir die Fesseln der Unwissenheit nicht durchschneiden, werden wir den Kreislauf des Leidens nicht beenden können. Wir müssen verstehen, dass die Dinge, egal wie sie erscheinen, keine unabhängige oder inhärente Existenz haben.“
Seine Heiligkeit rezitierte einen Vers aus Lama Tsongkhapas Lobpreis an das abhängige Entstehen:
Dem Lehrer folgend legte ich die klösterlichen Gelübde ab,
studierte die Lehre des Siegreichen gut
und war unermüdlich in der Praxis der Yogis:
derart ist die Hochachtung dieses Mönchs für den großen Geistvollen.
Er bezog sich dabei auf seine eigenen Erfahrungen und wies darauf hin, dass er als Novize und vollordinierter Mönch in Lhasa die Gelübde abgelegt und die klassischen Texte studiert hatte, wobei er mit seinen Lehrern, insbesondere mit Ling Rinpoche, auch Chandrakirtis Text Eintritt in den mittleren Weg (Madhyamakāvatāra) auswendig gelernt hat.
So studierte Seine Heiligkeit die Lehre Buddhas, war aber nicht in der Lage, das Gelernte umzusetzen, während er in Tibet war. Er sagte, dass er dies seit seiner Zeit im Exil versucht hat. Im Wesentlichen geht es darum, den Erleuchtungsgeist und ein Verständnis der Leerheit zu entwickeln. Er erzählte auch davon, dass er sich als Mönch wie Lama Tsongkhapa unermüdlich der Praxis der Yogis widmet und dadurch dem großen Geistvollen – dem Buddha –, Hochachtung erweist.
Seine Heiligkeit erwähnte auch, dass er sich sehr danach sehnt, Konzentration und besondere Einsicht zu verbinden und wies auf zwei Verse aus Chandrakirtis Text Eintritt in den mittleren Weg hin:
Von den Strahlen des Verständnisses erhellt, erkennt der Bodhisattva
so deutlich wie eine Amalaki-Beere auf seiner offenen Handfläche,
dass die drei weltlichen Bereiche seit jeher in keiner Weise [inhärent] entstanden sind,
und schreitet somit Kraft der konventionellen Wahrheit zur Beendigung [des Leidens].
(6.224)
Und wie ein König der Schwäne, der den Schwanenwesen voraus fliegt, breitet er
die weißen Flügel des Konventionellen und der Soheit weit aus, und angetrieben
von den kraftvollen Winden der heilsamen Handlungen, wird er sich zum ausgezeichneten fernen Ufer begeben, den ozeanischen Qualitäten der siegreichen Buddhas.
(6.226)
Seine Heiligkeit sagte: „Bodhisattvas widmen sich immer dem Wohl der anderen. Daher ist der Zweck des Studiums, anderen fühlenden Wesen zu helfen. In unserem Fall bedeutet das vor allem: die Menschen in dieser Welt.
Keiner von uns wird wahrscheinlich älter als 100 Jahre alt werden. Ich glaube, dass wir, solange wir leben, studieren und praktizieren und versuchen sollten, uns zu entwickeln. Das habe ich getan. Das Ziel ist, das Gelernte in unser tägliches Leben zu integrieren. Da ich den Erleuchtungsgeist und das Verständnis des abhängigen Entstehens für mich als nützlich empfunden habe, versuche ich, das, was ich gelernt habe, mit anderen zu teilen.
Fast alle von uns wurden von unseren Müttern umsorgt. Indem wir uns in ihrer Liebe und Zuneigung geborgen fühlten, erhielten wir unsere ersten Lektionen in Mitgefühl. Wir müssen diese Gefühle weiterentwickeln und sie dann mit anderen teilen. Das ist etwas, was wir tun können. Wenn wir ein mitfühlendes Leben führen, werden wir, wenn wir sterben müssen, dies mit Leichtigkeit tun können.
In meinem Leben hat es so viel Blutvergießen gegeben. Ich habe die Auswirkungen der beiden Weltkriege, des Koreakriegs, des Vietnamkriegs und so weiter miterlebt. Jetzt müssen wir eine friedliche Welt schaffen. Anstatt auf äußerliche Waffen zu vertrauen, brauchen wir die Verteidigung des Mitgefühls im Inneren. Die Grundlage des Weltfriedens ist Mitgefühl und Warmherzigkeit.
Der Weltfrieden fällt nicht einfach vom Himmel, sondern es geht darum, Mitgefühl für andere zu entwickeln. Warmherzigkeit ist nicht notwendigerweise auf religiöse Praktiken beschränkt; sie kann auch im Rahmen einer säkularen Ethik entwickelt werden. Ich hoffe sehr, dass ich in den nächsten Jahrzehnten weiterhin in der Lage sein werde, Mitgefühl mit anderen zu teilen.
Ich praktiziere Mitgefühl Tag und Nacht. Meine Freunde, ich bitte und ermutige euch, dasselbe zu tun.“
Lobsang Tenzin Negi wies noch einmal darauf hin, dass Mitgefühl für unser eigenes Wohlbefinden unerlässlich ist, und äußerte die Hoffnung, dass die Konferenz in den nächsten zwei Tagen erkunden kann, wie das umgesetzt werden kann.
Seiner Heiligkeit bekam eine Reihe von Büchern überreicht, darunter der vierte Band des Lehrplans für SEE-Lernen für weiterführende Schulen und eine Übersetzung der drei vorangegangenen Bände ins Hindi.
Seine Heiligkeit antwortete: „Ich schätze sehr, was ihr tut.
Und ich möchte noch etwas anderes erwähnen: die globale Erwärmung. Sie wird immer ernster und ihre Auswirkungen scheinen sich unserer Kontrolle zu entziehen. Da es immer heißer wird, scheint es, dass unsere Welt letztendlich vom Feuer vernichtet werden könnte.“
Bei der Beantwortung von Fragen, die ihm von Schülerinnen und Schülern gestellt wurden, die am Programm des SEE-Lernens teilgenommen haben, empfahl Seine Heiligkeit zu verstehen, wie unser Geist funktioniert. Es helfe uns zu erkennen, dass Egoismus, Angst und Zorn uns nicht gut tun, während uns die warmherzige und offene Betrachtung anderer innere Stärke verleihe. Er wies darauf hin, dass wir die Dinge um uns herum durch unser Sinnesbewusstsein wahrnehmen, aber wir können nur analysieren und einschätzen, was zu tun ist, wenn wir unser geistiges Bewusstsein einsetzen. Und wenn wir uns fragen, wie oder wo das Bewusstsein entsteht, scheint es sich um eine anfangslose Kontinuität zu handeln.
Ein Mädchen im Jugendalter, das unter der Betreuung der örtlichen Tong-Len-Stiftung studiert, erzählte Seiner Heiligkeit, dass sie versucht, ihre Gefühle im Gleichgewicht zu halten, es aber schwierig findet, getrennt von ihren Eltern zu leben.
Seine Heiligkeit sagte zu ihr: „Denk daran, dass dein Studium nicht nur in deinem Interesse liegt. Du wirst in der Lage sein, das, was du lernst, mit dem Rest deiner Familie und deiner Gemeinschaft zu teilen. Fühlt euch nicht einsam oder entmutigt. Wenn ihr euch beunruhigt fühlt, ist es Zeit, Mut zu zeigen. Überlegt, was ihr tun könnt, um anderen zu helfen.“
Im Hinblick auf die Versöhnlichkeit mit denjenigen, die dich verletzt oder deiner Gemeinschaft geschadet haben, empfahl er, einen weiten Blickwinkel einzunehmen und einen realistischen Sinn für Geduld zu entwickeln.
Einem anderen Mädchen, das wissen wollte, wie es das Gelernte weitergeben kann, sagte Seine Heiligkeit, dass wir als Menschen einen scharfen Verstand haben, der die Situationen, in denen wir uns befinden, analysieren und entscheiden kann, was wir tun müssen.
Lobsang Tenzin Negi beendete die Veranstaltung. Er dankte Seiner Heiligkeit dafür, dass er so großzügig mit seiner Zeit umging. Dann betete er, dass alle Verdienste, die durch das SEE-Lernen geschaffen wurden, zu einer guten Gesundheit und einem langen Leben Seiner Heiligkeit beitragen werden und dass SEE-Lernen überall Teil der Bildung werden möge.
Seine Heiligkeit antwortete: „Nur Mitgefühl und das Prinzip, keinem Lebewesen Schaden zufügen zu wollen, bringen wahren Frieden. Probleme werden immer auftreten, aber wenn wir einen ruhigen Geist haben, können wir die Probleme ertragen und sie überwinden.“