Thekchen Chöling, Dharamsala, HP, Indien - Als Seine Heiligkeit der Dalai Lama heute Morgen durch den Hof zum Haupttempel ging, lächelte und winkte er den Mitgliedern der etwa 5.000 Menschen aus 55 Ländern zu, die darauf warteten, ihn zu begrüßen. Er schien heute den älteren Menschen besondere Aufmerksamkeit zu schenken und blieb für ein kurzes Wort, einen liebevollen Klaps auf den Kopf oder die Hand stehen, bevor er weiterging.
Nachdem Seine Heiligkeit auf dem Thron Platz genommen hatte, sprach der Rezitationsmeister das Herz-Sutra auf Chinesisch und die 570 Schüler aus Taiwan stimmten mit ein. Seine Heiligkeit entdeckte eine Katze, die durch den Raum ging, und bat darum, sie zu ihrem Besitzer oder ihrer Besitzerin zurückzubringen, das sei besser für die Katze.
Das Herz-Sutra wurde dann noch einmal auf Tibetisch gesprochen.
Seine Heiligkeit begann die Unterweisungen mit den Worten: „Heute haben mich unsere chinesischen Dharma-Freunde gebeten, Dharmakirtis Kommentar zur gültigen Erkenntnis zu lehren.“
In seinem Versprechen, den Text zu verfassen, schrieb Dharmakirti:
Die meisten Wesen werden vom Gewöhnlichen angezogen und sind nicht mit der Gewandtheit der Weisheit ausgestattet. Sie sind nicht nur nicht an den ausgezeichneten Lehren interessiert, sondern sind auch voller Missgunst, dem Makel des Neids.
Deshalb kommt mir nicht der Gedanke, dass diese Abhandlung für andere von Nutzen sein könnte. Aber seit langer Zeit ist mein Geist mit dieser ausgezeichneten Erläuterung vertraut, und um danach zu streben mich noch vertrauter mit ihr zu machen, werde ich [folgenden Text] voller Freude verfassen.
Seine Heiligkeit fuhr fort: „Heutzutage sind die Menschen damit beschäftigt, eine materialistische Lebensweise zu verfolgen. Während alle religiösen Traditionen uns lehren, gütig zu sein, hält uns die Nalanda-Tradition dazu an, unsere Intelligenz zu nutzen und zu untersuchen, was unseren Geistesfrieden stört. In diesem Sinne offenbart Dharmakirti, dass er nach langem Studium von Wissenschaft und Schriften die Absicht hat, den Kommentar zur gültigen Erkenntnis zu verfassen.
In der Vergangenheit kritisierten einige Gelehrte diesen Text als wenig interessant für diejenigen, die nach Erleuchtung suchen, weil es sich nicht mit den Stufen und Pfaden befasst. Lama Tsongkhapa bezieht sich darauf, wenn er über sein eigenes Studium und seine Praxis in dem Text Erfüllte Bestimmung schreibt:
In diesem nördlichen Land sagen viele übereinstimmend — ob sie
die Schriften über die Logik studiert haben oder nicht —, dass es in
dem Kompendium der Gültigen Erkenntnis und den Sieben Abhandlungen über Pramana keine [Beschreibung der] schrittweisen Praxis, die zur Erleuchtung führt, gibt.
Durch mein Streben entwickelte ich eine außerordentliche Überzeugung in die
Stufen des Pfades zur Erleuchtung, die von Nagarjuna und Asanga überliefert wurden.
Und so erschienen mir die Sutras der Vollkommenheit der Weisheit, die
überragenden Texte über das Tiefgründige, als Anleitungen zur Praxis.
Jedoch halten sie es auch für unwiderlegbar, dass Manjushri
seine Befürwortung für das Verfassen [des Kompendiums der gültigen Erkenntnis]
ausdrückte, als er zu Dignaga sagte: „Dieser Text wird in der Zukunft
wie ein Auge für alle umherwandernden Wesen sein!“
Da ich erkannte, dass diese [beiden Ansichten] völlig widersprüchlich sind,
untersuchte ich besonders das System der Logik: Das Pramanasiddhi-Kapitel
[des Kommentars zur gültigen Erkenntnis] legt die Bedeutung des Verses
der Ehrerbietung aus dem Kompendium der gültigen Erkenntnis dar, indem
es mittels der vorwärts- und rückwärtsgerichteten [Begründungen] beweist,
dass Buddha jenen, die nach der Befreiung streben, ein zuverlässiger Lehrer ist.
Dadurch gelangte ich zu der tiefen Überzeugung, dass nur seine Lehre das Eintrittstor
für diejenigen ist, die sich die Freiheit wünschen, und fand besondere Freude daran,
dass durch den Pfad der Beweisführung alle wesentlichen Aspekte der Pfade,
die sich auf die beiden Fahrzeuge beziehen, zugänglich gemacht werden.
Wenn ich darüber nachdenke — wie gut hat sich meine Bestimmung erfüllt! Vielen Dank, oh ehrwürdiger Schatz der Weisheit!
Dazu merkte Seine Heiligkeit an: „Es ist wichtig, den Kommentar zur Gültigen Erkenntnis zu studieren, weil er mit logischer Beweisführung zeigt, dass der Buddha ein zuverlässiger Lehrer ist. Deshalb hat Lama Tsongkhapa ihn studiert.“
Seine Heiligkeit sagte, dass wir in einem wissenschaftlichen Zeitalter leben und dass Wissenschaftler zunehmend Interesse an dem zeigen, was der Buddha über die Funktionsweise des Geistes und der Emotionen gelehrt hat und wie die damit verbundenen Erkenntnisse uns helfen, inneren Frieden zu erlangen. Er wies darauf hin, dass der wichtigste Faktor, der zu diesem inneren Frieden beiträgt, die Praxis des Mitgefühls ist. Er stellte fest, dass man gut schlafen kann, ohne auf Schlaftabletten zurückgreifen zu müssen, wenn man einen ruhigen Geist hat.
Seine Heiligkeit erwähnte seinen seit langem bestehenden Plan, Gespräche mit Pädagogen in Delhi zu führen, um Wege zu finden, die Entwicklung von Mitgefühl in den Lehrplan der allgemeinen Bildung aufzunehmen. Er ist überzeugt, dass dies möglich ist, weil Karuna und Ahimsa, Mitgefühl und Nicht-Schaden, in Indien seit Tausenden von Jahren hochgehalten werden. Auf dieser Grundlage war Mahatma Gandhi in der Lage, Gewaltlosigkeit als grundlegendes Thema des indischen Freiheitskampfes zu fördern.
Seine Heiligkeit erzählte weiter: „Sobald ich morgens aufwache, entwickle ich Bodhichitta, das in Liebe und Mitgefühl verwurzelt ist, und daraus schöpfe ich den Mut, mich für andere einzusetzen.
Wir sagen, der Buddha ist es wert, dass man ihm Aufmerksamkeit schenkt, nicht wegen der Wunder, die er vollbracht hat, sondern wegen dem, was er gelehrt hat. Wenn wir Frieden in der Welt schaffen wollen, müssen wir darauf achten, wie wir in uns selbst im Geist Frieden erreichen können.“
Seine Heiligkeit begann mit der Lektüre des zweiten Kapitels des Kommentars zur gültigen Erkenntnis. Er ging auf die Erklärung der verschiedenen Grade der Subtilität des Geistes ein, die im Höchsten Yoga Tantra beschrieben werden, und teilte mit, dass zwei verschiedene Teams von Wissenschaftlern diese Phänomene untersuchen.
Nachdem er Vers 152 erreicht hatte, erklärte Seine Heiligkeit, dass wir die Lehre Buddhas umso besser verstehen werden, je mehr wir sie studieren. Wenn wir mehr über den Nutzen von Logik und Vernunft wissen wollen, sei der Kommentar zur gültigen Erkenntnis der Text, auf das wir uns verlassen sollten. Für eine genaue philosophische Sichtweise müssen wir uns jedoch Chandrakirtis Eintritt in den mittleren Weg und dessen Darstellung der Prasangika-Madhyamika-Gedanken zuwenden.
Seine Heiligkeit erläuterte: „Nachdem man die Lehren studiert hat, wenn man in der Lage ist, über sie nachzudenken und sich mit ihnen vertraut zu machen, werden sie Teil der eigenen Erfahrung werden.“
Er zitierte die Verse 34-38 aus dem sechsten Kapitel von Eintritt in den mittleren Weg, die die vier logischen Absurditäten aufzeigen, die sich ergeben, wenn man behauptet, dass die Dinge unabhängig voneinander existieren. Obwohl die Dinge von sich aus keine unabhängige, objektive Existenz haben, bedeutet das nicht, dass sie überhaupt nicht existieren. Sie existieren aufgrund von Abhängigkeit und Bennenung.
Wenn etwas durch seine Eigenmerkmale in Abhängigkeit existierte,
würden die Phänomene durch Verneinung zunichte gemacht.
Folglich wäre die Leerheit die Ursache für die Vernichtung der Dinge.
Da dies absurd ist, existieren die Dinge nicht [inhärent].
6.34
Wenn man diese Dinge gründlich analysiert,
findet man als ihre Wesensart nichts anderes als die Soheit.
Darum sollte die konventionelle Wahrheit der Welt
keiner gründlichen Analyse unterzogen werden.
6.35
Im Rahmen der Soheit schließen bestimmte logische Begründungen
die Erzeugung aus sich selbst und aus etwas [inhärent] anderem aus.
Aufgrund dieser Begründungen ist eine solche Erzeugung auch auf der konventionellen Ebene nicht plausibel.
Wodurch ist also euer Erzeugen vertretbar?
6.36
Leere Dinge, wie Spiegelbilder, die abhängig sind vom Zusammenkommen [mehrerer Ursachen],
sind nicht unbekannt.
Und so wie aus leeren Dingen wie Spiegelbildern
ein Bewusstsein mit ihrem Aspekt entsteht,
6.37
so entstehen alle Dinge,
obwohl sie leer sind, aus der Leerheit.
Da keine der beiden Wahrheiten inhärent existiert,
sind die Dinge weder gleichbleibend noch nichtexistent.
6.38
Seine Heiligkeit ist der Ansicht, dass wir, wenn wir uns mit diesem Verständnis immer vertrauter machen, in der Lage sein werden, unser Gefühl, dass die Dinge unabhängig existieren, zu schwächen. Und wenn wir verstehen, dass wir alle vom Erfassen der wahren Existenz der Dinge überwältigt sind, werden wir von Mitgefühl für fühlende Wesen bewegt, das sich auf den gesamten Raum erstreckt.
Dann schloss Seine Heiligkeit mit folgenden Worten die Unterweisungen: „Das war es für heute. Wir machen morgen weiter.“