Bodhgaya, Bihar, Indien - Unter einem winterlichen Himmel fuhr Seine Heiligkeit der Dalai Lama heute Morgen an der Magadh-Universität vorbei zum künftigen Standort des Dalai Lama-Zentrums für tibetische und altindische Weisheit. Während Mönche des Namgyal-Klosters Gebete sprachen, wurde der Grundstein in Begleitung des indischen Ministers für Recht und Justiz, Kiren Rijiju, des Parlamentsabgeordneten Shri Sushil Modi, des Präsidenten des Indischen Rates für kulturelle Beziehungen (Indian Council for Cultural Relations, ICCR), Vinay Sahasrabuddhe, und des Generaldirektors des ICCR, Botschafter Kumar Tuhin, eingeweiht. Bevor Seine Heiligkeit auf der Bühne Platz nahm, betrachtete er ein Architekturmodell der geplanten Gebäude.
Der Interimsdirektor des Projekts, Tempa Tsering, begrüßte alle Anwesenden und hieß die Ehrengäste willkommen. Er kündigte an, dass das Zentrum gegründet werde, um die Vision Seiner Heiligkeit des Dalai Lama zu verwirklichen. Diese Vision besteht darin, dass ein Wiederentdecken und ein Weitergeben des Bewusstseins für die altindische Weisheit, insbesondere in Bezug auf die Funktionsweise des Geistes und der Emotionen, zur Schaffung einer friedlicheren und mitfühlenderen Welt beitragen wird. Er bedankte sich bei der Regierung von Bihar und der indischen Regierung für ihre Unterstützung. Er erklärte, dass das Zentrum allen offen stehen wird, die etwas über die tibetische und altindische Weisheit lernen wollen.
In einer in Hindi gehaltenen Rede erinnerte Samdhong Rinpoche daran, dass Vinobha Bhave vor vielen Jahren sagte, dass eine Zeit kommen würde, in der die indische Kultur eine führende Rolle in der Welt einnehmen werde. Seine Prognose wurde weithin ignoriert, aber im Nachhinein scheint es, dass er ein weitsichtiger Visionär war. Samdhong Rinpoche fuhr fort, dass die materialistische Sichtweise, die mit Wissenschaft und Technologie verbunden ist, der Welt keinen Frieden und keine Zufriedenheit gebracht hat und dass altindisches Wissen und Werte diese Lücke füllen könnten.
In der Vergangenheit, so erklärte Samdhong Rinpoche, hätten sich die indischen Denkschulen gegenseitig bereichert, wenn sie einen auf logischer Beweisführung basierenden Gedankenaustausch pflegten. Die tibetische Tradition hat diesen Ansatz lebendig gehalten. Mit der Einrichtung dieses Zentrums werden diese Traditionen in Indien gefördert.
Kumar Sarvjeet, Landwirtschaftsminister der Regierung von Bihar und Mitglied der Legislativversammlung (Member of Legislative Assembly, MLA) in Bodhgaya, sprach als nächstes im Namen des Ministerpräsidenten Nitish Kumar. Er teilte den Anwesenden mit, dass der Ministerpräsident die Vision Seiner Heiligkeit voll und ganz unterstütze. Er hat deutlich gemacht, dass er und die Regierung von Bihar alles in ihrer Macht Stehende tun werden, um das Projekt zu verwirklichen. Er teilte mit, dass die Regierung und die Menschen in Bihar, insbesondere die Menschen vor Ort, dankbar sind, dass das Zentrum in Bodhgaya errichtet wird.
Der aus Arunachal Pradesh stammende Minister für Recht und Justiz in der Zentralregierung, Kiren Rijiju, erwies Seiner Heiligkeit, den Sakya-Thronhaltern und anderen Ehrengästen seine Ehrerbietung. Er erklärte, dass er sich jedes Mal in einem Zustand von Frieden fühlt, wenn er nach Bodhgaya kommt und daran denkt, dass Buddha vor 25 Jahrhunderten tatsächlich an diesem Ort gewandelt ist. Das macht Bodhgaya zu einem heiligen Ort. Und jetzt verstärkt Seine Heiligkeit diesen Status durch seine Anwesenheit. Der Buddha hat der Welt gezeigt, wie man Erleuchtung erlangen kann, und in unserer Zeit ist es das, was Seine Heiligkeit ebenfalls tut.
Er sagte: „Seine Heiligkeit hat Indien zu seiner Heimat gemacht und sich verpflichtet, dazu beizutragen, das Bewusstsein für die altindische Weisheit wiederzubeleben. Menschen aus der ganzen Welt kommen nach Indien, um ihm ihre Ehrerbietung zu erweisen. Seine Heiligkeit bezeichnet Indien als den Guru und die Tibeter als die Schüler, aber ich sage, dass er, der Friedensbotschafter, der Guru der Welt ist. Im Namen des Volkes und der Regierung Indiens spreche ich ihm meinen Dank aus. Es ist ein Privileg für uns, ihn hier in Indien unter uns zu haben.
Ich fühle mich geehrt, dass ich an der Grundsteinlegung für dieses Zentrum teilnehmen konnte. Seine Heiligkeit erklärt, dass die Weisheit von Nalanda, die von Meistern wie Nagarjuna, Aryadeva und Chandrakirti gepflegt wurde, eine Tradition, die auf logischer Beweisführung beruht, in Tibet am Leben erhalten wurde. Dabei ging es weniger um Religion als vielmehr um eine Wissenschaft des Geistes. Es wird hier nun ein Zentrum für diese Studien eingerichtet, und Menschen aus der ganzen Welt werden hierher kommen und studieren können.
Seine Heiligkeit hat sich verpflichtet, menschliche Werte wie Mitgefühl und Toleranz, Vergebung und Selbstdisziplin zu fördern. Er hat sich verpflichtet, sich für den Erhalt der tibetischen Kultur und den Schutz der natürlichen Umwelt in Tibet einzusetzen.
Die indische Regierung hat sich ihrerseits verpflichtet, dieses Zentrum zu unterstützen, das uns ermutigen wird, nach innen zu schauen. Das Zentrum wird eine Einrichtung von Weltrang sein, ein Geschenk an die Menschheit, wo es möglich sein wird, die Verbindung zwischen geistigem Frieden und Weltfrieden zu entdecken.“
Tempa Tsering lud dann Seine Heiligkeit ein, zu den Versammelten zu sprechen.
Seine Heiligkeit sagte: “Heute sind wir alle aus der Wertschätzung für die Lehre Buddhas hier versammelt. Wir alle wünschen uns Frieden, deshalb müssen wir Mitgefühl und die Praxis, keinen Schaden anzurichten, entwickeln. Der Buddhadharma offenbart der Welt nicht nur Frieden und Glück, er zeigt uns auch, wie wir das Leiden überwinden können.
Wir müssen die Ursachen des Leidens, die in unseren selbstbezogenen Einstellungen und negativen Emotionen wurzeln, erkennen und ihnen ein Ende setzen. Der Friede in der Welt hängt davon ab, dass der Einzelne seinen Frieden im Geist findet.
Shantideva hat dies in seinem Werk Verhaltensweisen der Bodhisattvas sehr deutlich beschrieben:
Was immer es an Glück gibt in der Welt,
all das ist aus dem Wunsch nach dem Glück der anderen entstanden.
Was immer es an Leiden gibt in der Welt,
das alles ist aus dem Verlangen nach dem eigenen Glück entstanden.
(8.129)
Wozu viele Erklärungen?
Betrachte doch den Unterschied zwischen den Toren,
die den eigenen Nutzen verfolgen,
und den Buddhas, die zum Wohl der anderen wirken.
(8.130)
Wenn man das eigene Glück nicht
gegen das Leiden der anderen tauscht,
ist die Buddhaschaft nicht zu verwirklichen,
und selbst im Daseinskreislauf gibt es kein Glück.
(8.131)
Welcher Vernünftige könnte sich entmutigen lassen,
da er auf dem Pferd der Erleuchtung reitet,
das allen Kummer und alle Ermattung vertreibt,
von Glücksmoment zu Glücksmoment eilt?
(7.30)
Wenn ihr warmherzig und entschlossen seid, anderen zu helfen, wird euch das glücklich machen. Deshalb können wir Buddha für seine Lehre dankbar sein.
Indien ist ein Land, in dem aufgrund der seit langer Zeit bestehenden Traditionen von Karuna (Mitgefühl) und Ahimsa (Nicht-Schaden) viele verschiedene spirituelle Traditionen gedeihen. Um den Frieden in der Welt zu sichern, müssen wir den Gedanken der Gewaltlosigkeit und des Nicht-Schadens fördern. Die tibetischen Flüchtlinge können sich glücklich schätzen, dass sie in einem Land leben dürfen, in dem Ahimsa ausdrücklich praktiziert wird.
Ich habe nicht viel mehr zu sagen. Ich danke der Regierung von Bihar und der Zentralregierung für ihre Unterstützung, ohne die es schwierig gewesen wäre, dieses Projekt zu verwirklichen. Wir sind dankbar dafür.
Wir müssen an das Wohlergehen der anderen denken und ständig ein gutes Herz entwickeln. Anderen zu dienen ist eine praktische und realistische Art, unser Leben zu führen. Ich danke Ihnen.“
Karma Chungdak sprach Worte des Dankes aus: Seiner Heiligkeit für die Anregung zur Gründung dieses Zentrums für tibetische und altindische Weisheit und für die Teilnahme an der heutigen Grundsteinlegung, den Vertretern der verschiedenen spirituellen Traditionen Tibets, Mönchen und Nonnen, für ihre Teilnahme und – im Namen des Dalai Lama Trust – Kiren Rijiju als Vertreter der indischen Regierung und Kumar Sarvjeet als Vertreter der Regierung von Bihar sowie Sikyong Penpa Tsering und Khenpo Sonam Tenphel als Vertreter der tibetischen Zentralverwaltung für ihre Teilnahme und Unterstützung.