Thekchen Chöling, Dharamsala, HP, Indien - Als Seine Heiligkeit der Dalai Lama am frühen Morgen im Tsuglagkhang eintraf, waren die Tempelhallen, die umliegenden Veranden und der darunter liegende Hof bereits mit vielen Menschen gefüllt, darunter 5.000 Mönche und Nonnen und 600 Mongolen.
Zu Beginn saß Seine Heiligkeit mit dem Gesicht zum Mandala und führte in aller Stille die vorbereitenden Praktiken durch, bevor er am heutigen Tage die vorbereitenden Rituale für die eigentliche Chakrasamvara-Ermächtigung, die am morgigen Tag stattfindet, erteilte. Nach Abschluss dieser Praktiken nahm er auf dem Thron Platz.
Auf einen kleinen Jungen deutend, der zu seiner Linken saß, sagte Seine Heiligkeit zu den Anwesenden: „Wir haben heute die Reinkarnation von Khalkha Jetsun Dhampa Rinpoche aus der Mongolei unter uns. Seine Vorgänger hatten eine enge Verbindung zur Krishnacharya-Linie von Chakrasamvara. Einer von ihnen gründete in der Mongolei ein Kloster, das der Praxis dieser Linie gewidmet war. Daher ist seine heutige Anwesenheit sehr glücksverheißend.
In Tibet war Tantra weit verbreitet. In Bezug auf Chakrasamvara waren die Ghantapada- und Luipa-Traditionen sehr bekannt, aber diese Krishnacharya-Linie war recht selten. Ich habe sie von Tagdrag Rinpoche erhalten und fühle mich der Praxis seit langem sehr verbunden. Heute werde ich die vorbereitenden Prozeduren für die eigentliche Ermächtigung durchgehen, die ich morgen geben werde.
Chakrasamvara wird als Muttertantra eingestuft. Es gehört zu den höchsten Yoga-Tantras. Während Guhyasamaja den illusorischen Körper betont, konzentriert sich Chakrasamvara auf das klare Licht. Wenn du jedoch den illusorischen Körper zu deiner primären Praxis machst, dann entsteht auch das klare Licht.
Wie ich bereits sagte – ich fühle mich der Krishnacharya-Tradition sehr verbunden. Ich habe die Ermächtigung erhalten und das erforderliche Retreat absolviert. Es mag etwas anmaßend erscheinen, aber ich fühle mich auch mit dem großen Mahasiddha Krishnacharya verbunden.
Diese Ermächtigung erfordert vorbereitenden Praktiken, die wir heute durchführen werden. Ich habe bereits die Selbsterzeugung durchgeführt und mich als Chakrasamvara visualisiert.
Zunächst offerieren wir einen rituellen Kuchen, um etwaige Hindernisse bei der Durchführung der Ermächtigung abzuwehren. Natürlich ist das eigentliche Hindernis die Unwissenheit in uns, also können wir vielleicht davon ausgehen, dass der rituelle Kuchen denjenigen offeriert wird, die sich ihrer wahren Natur nicht bewusst sind.
Buddha Shakyamuni war unter den spirituellen Lehrern und Begründern spiritueller Traditionen insofern einzigartig, als er über Mitgefühl und die Bereitschaft, anderen zu helfen, lehrte. Er zeigte den Weg, dem man folgen sollte, was bedeutet, zu verstehen, welches Verhalten man annehmen und welches man aufgeben sollte. Er offenbarte die Mittel, mit denen wir uns selbst transformieren können.
Im Tantra verwirklichen wir den Geist des klaren Lichts. Wenn wir das tun können, haben wir auch die Mittel, den illusorischen Körper zu erlangen und sie auf der Ebene des Praktizierenden zusammenzubringen. Diese Lehren sind wissenschaftlich; sie stimmen mit der Realität überein.
Die Buddhaschaft ist ein Zustand, der frei von allen Fehlern und Hindernissen ist und der mit allen Qualitäten ausgestattet ist. Wie können wir ihn erreichen? Indem wir den spontanen Geist des klaren Lichts einsetzen. Wir haben ihn in uns und können ihn in den Pfad zur Erleuchtung verwandeln.
Der Geist des klaren Lichts, der immer von einer subtilen Windenergie begleitet wird, verwandelt sich auf der Ebene des Praktizierenden in den illusorischen Körper. Es ist möglich, solch hohe Errungenschaften zu erreichen. In unserem Geist gibt es Wind und Geist in verschiedenen Graden der Subtilität. Wind und Geist, die seit anfangsloser Zeit existieren, bilden die Grundlage für die Benennung einer Person. Indem wir den groben Wind und den groben Geist umwandeln, können wir den subtilen Geist des klaren Lichts mit seinem begleitenden Energie-Wind verwirklichen.
Was diese Ermächtigung betrifft, so nehmen wir sie nicht, um eine höhere Wiedergeburt zu erlangen, sondern als Mittel, um die Erleuchtung zu erlangen. Um Tantra zu praktizieren, brauchen wir eine klare Vision von uns selbst als einer Gottheit. Deshalb lösen wir die Vorstellung von uns selbst als einem gewöhnlichen Wesen auf und verwandeln uns in Heruka bzw. Chakrasamvara.“
Bevor Seine Heiligkeit das Ritual der Bodhisattva-Gelübde durchführte, sprach er über die Bedeutung des Erleuchtungsgeistes. Er erwähnte, dass der Erleuchtungsgeist geistigen Frieden bringt und fügte hinzu, dass alle tausend Buddhas dieses glücklichen Äons in Abhängigkeit davon erleuchtet werden. Aus diesem Grund, so sagte er, erzeuge er Bodhichitta und denke über die Leerheit nach, sobald er jeden Morgen aufwache. Er würdigte Shantidevas Verhaltensweisen der Bodhisattvas als den Text, der die Qualitäten des Bodhichitta und die Wege zur Entwicklung des Erleuchtungsgeistes am besten erläutert, und erzählte, dass diesen Text neben seinem Bett aufbewahrt.
Seine Heiligkeit bat die Anwesenden, sich Buddha im Raum vor ihnen vorzustellen, umgeben von den acht Bodhisattvas und den großen Meistern Indiens und Tibets. Vor ihnen lud er die Anwesenden ein, die Bodhisattva-Gelübde abzulegen, indem sie den entsprechenden Vers dreimal nach ihm wiederholten.
Zum Abschluss der vorbereitenden Prozeduren bat Seine Heiligkeit Jhado Rinpoche, den Zahnstock zu werfen, der in den Osten fiel. Das geweihte Wasser wurde verteilt, indem es in die schalenförmig gehaltenen Hände der Anwesenden gegossen wurde. Gesegnete Schutzbänder wurden ausgeteilt, zusammen mit kurzen und langen Halmen von Kusha-Gras. Diese sollten unter das Kopfkissen (dort der kurze Halm) und die Matratze (dort der lange Halm) gelegt werden, um den Schlaf zu klären. Schließlich wurde den an der Ermächtigung Teilnehmenden geraten, heute Nacht ihre Träume zu untersuchen.
Als die heute Morgen stattfindende Veranstaltung zu Ende ging, traf Seine Heiligkeit kurz mit einer Gruppe von Mongolen zusammen, die um diese Ermächtigung gebeten und sie gefördert hatten. Während die anderen Teilnehmenden den Tempel verließen, sah man in alle Richtungen die aufrecht gehaltenen Kusha-Grashalme, die die sie in ihren Händen hielten.